Roter Regen
auf
dem Sofa.« Killian verschwand in der Küche, wo er eine Duschkabine installiert
hatte, während Belledin nach der Kladde griff.
Er hatte in der Praxis von Hartmann bereits einen Blick auf die
Dokumente geworfen. Und zwar in Hartmanns Computer. Da sie ihm sonderbar
erschienen waren, hatte er sie ausgedruckt. Aus den physikalischen
Aufzeichnungen wurde Belledin nicht schlau. Einige Formeln kannte er noch, aber
schon bei den Vektoren begann ihm der Schädel zu brummen.
Killian kam frisch angezogen aus der Küche zurück und rubbelte sich
mit einem Handtuch die kurzen angegrauten Haare trocken.
»Kennst du dich in Physik aus?«, krächzte Belledin heiser und
bemerkte, wie die Mandeln ihm immer weniger Raum im hinteren Rachenbereich
ließen.
»Das hört sich gar nicht gut an. Ingwer mit Honig?«
Belledin zuckte mit den Schultern. »Antibiotika wären mir lieber.«
Killian verschwand wieder in der Küche und setzte heißes Wasser auf,
in das er einige Ingwerstücke schnipselte. Dann kehrte er zu Belledin zurück.
Der deutete mit dem Finger auf die Kladde und wiederholte: »Hast du Ahnung von
Physik?«
»Kaum«, schwindelte Killian. Er war zwar kein Meister des Fachs,
aber er wusste theoretisch, wie man Atombomben baute, und auch die Thesen der
Quantenmechanik interessierten ihn. Vor allem der Gedanke, dass ein Teilchen
nicht mehr lokal und zeitlich vorhersehbar sei, faszinierte ihn – fühlte er
sich selbst doch wie ein Irrlicht. Auch über Thermik hätte er einiges zu
berichten gewusst, aber was in der Kladde stand, war auch ihm erst einmal ein
Rätsel gewesen; nicht umsonst hatte er Moshe ins Spiel gebracht.
Belledin schluckte, dann kniff er die Augen zusammen und musterte
Killian einige Sekunden, ehe er fast flüsterte. »Du hast reingeguckt, habe ich
recht?«
Killian wusste, dass es zwecklos war zu lügen und gestand. »Die
Kladde ist mir auf den Boden gefallen, da habe ich die Blätter wieder
einsortiert. Dabei habe ich bestimmt auf das ein oder andere Blatt geguckt.
Aber worum es sich dabei handelt, weiß ich nicht.«
Belledin kniff noch immer die Augen zusammen. »Wie interessant ist
es?«
Killian zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Es hat etwas
mit Thermik zu tun.«
»Kann man dafür töten?«
Das kochende Wasser aus der Küche unterbrach die Pause, die nach
Belledins Frage entstanden war. Killian goss Belledin eine Tasse Ingwertee ein,
den er mit einem Löffel Tannenhonig süßte. Er reichte Belledin den Trunk und
sagte trocken: »Wenn man dafür töten kann, ist es nicht mehr lange dein Fall.«
Belledin schlürfte vorsichtig und nickte. »Verstehe.«
Erneut entstand eine kleine Pause, die diesmal Belledin brach. »Das
heißt, es ist besser, ich reiche die Dokumente erst einmal nicht an meine
Experten weiter, sondern warte, bis deine dich informiert haben?«
Killian wurde mit einem Mal klar, wie wichtig die Aufzeichnungen
Hartmanns sein konnten. Zwar hatte er den Satz nur lapidar dahingeworfen, aber
wenn Hartmann tatsächlich wegen dieser physikalischen Berechnungen getötet
worden war, überstieg der Fall die Bedeutung eines herkömmlichen Zivilmordes
und bekäme politische Dimensionen. Es war pure Neugierde gewesen, aus den
Dokumenten mehr über Bärbels toten Schwarm zu erfahren, der ihm doch so ähneln
sollte; jetzt aber erwachte der skeptische Spürhund in ihm.
Und er war überrascht von Belledins Scharfsinn. Er hatte sich wohl
schnell zusammengereimt, dass Killian die Dokumente bereits hatte überprüfen
lassen.
Belledin bemerkte Killians Verblüffung und grinste unter seinem
Schnäuzer hervor. »Ich lasse mir ungern Fälle entziehen. Vor allem wenn nicht
klar ist, ob die Morde überhaupt etwas mit den Dokumenten zu tun haben.«
»Morde?«, fragte Killian verdutzt.
»Ja, es gibt eine zweite Leiche. Christa Faller, die Assistentin von
Hartmann, wurde von Bärbel Engler tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Je nachdem,
wie das Verhältnis zwischen Bärbel und Hartmann gewesen ist, könnte auch
Eifersucht ein Motiv sein. Das Motiv drängt sich ohnehin auf, Hartmann scheint
ein richtiger Weiberheld gewesen zu sein; auf seiner Beerdigung waren
ausschließlich Frauen. Silke Brenn ist am Grab zusammengebrochen. Die Frau, die
heute Mittag überstürzt aus der Krone aufgebrochen ist, hatte wohl auch ein
Verhältnis mit Hartmann.«
Belledin nahm noch einen Schluck von dem Ingwertrunk. So viel hatte
er gar nicht reden wollen. Aber er wusste um Killians Vernetzung mit dem BKA . Deshalb
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