Roter Regen
jetzt.«
Belledin nahm erneut einen Schluck und war wenig erstaunt. Das
Wasser schmeckte nun leicht nach Mirabellenschnaps.
»Und, fühlt es sich nicht weicher an?« Anke Prückner sah ihn
forschend an, ein kleiner Schalk blitzte in ihren blauen Augen.
Belledin zauderte. »Ein wenig, das muss ich zugeben. Aber ich
schmecke gerade nicht so viel, weil ich Halsschmerzen habe … Haben Sie da kein
Mittel als Studentin von Thomas Hartmann?«
»Ich habe mich in Psychotherapie ausbilden lassen. Mit der
allgemeinen Heilpraktik habe ich nichts zu schaffen. Ich fasse nicht gerne
kranke Menschen an. Ich erforsche lieber die dunklen Seiten ihrer Psyche.«
»Wollen Sie nur erforschen oder auch heilen?«
»Man kann nicht heilen, man kann nur versuchen zu verstehen«,
erwiderte sie trocken.
»Also wollen Sie gar keine Praxis eröffnen, wenn Sie Ihre Prüfung
gemacht haben?«
»Bin ich verrückt?«
»Sie beschäftigen sich immerhin damit, mit der Verrücktheit, Sie
müssen es wissen.«
»Ich beschäftige mich mit der menschlichen Psyche, und es
interessiert mich, warum jemand so ist, wie er ist.«
»Nur aus reinem Selbstzweck? Wovon leben Sie?«
»Ich schreibe.«
»Was? Krimis? Dann hätten wir ja etwas gemeinsam. Aber Sie hätten es
besser als ich: Krimiautoren kennen ihre Mörder immer schon von Anfang an. Ich
muss meine erst ermitteln.«
Anke Prückners Augen strahlten, es war wohl ihr Ausdruck eines
schallenden Gelächters. »Horrorgeschichten. Da sind alle Mörder und Opfer
zugleich. Da kämen Sie gar nicht mehr hinterher mit Ihren Ermittlungen.«
Belledin hatte mit vielem gerechnet, aber das war nun doch eine Überraschung.
Wie es seine Art war, sich Frauen zu nähern, hatte er Anke schon zum
wiederholten Male nackt vor sich sitzen sehen. Ihre großen Brüste, ihr weißer
geschmeidiger Körper, die schlanken Beine, der Lippenstift farblich abgestimmt
auf ihre Brustwarzen …
Belledin schämte sich dafür nicht, er durfte denken, was er wollte.
Nun aber sah er mit einem Mal ein blutrünstiges Monster vor sich hocken, dem
Vampirzähne wuchsen und Blut aus dem Maul triefte.
»Kann man etwas von Ihnen lesen?«, fragte Belledin. »Ich meine, sind
Sie verlegt?«
Er kannte viele, die ein Manuskript in der Schublade hatten. Auch er
hatte mal daran gedacht, sich als Krimiautor zu versuchen. Er hatte das
Manuskript noch immer irgendwo liegen, hatte sich aber noch nicht einmal
getraut, es Biggi zur Lektüre zu geben. Sein Held hatte ständig Sex mit
irgendwelchen Frauen. Ob Sekretärinnen oder Verdächtige, Witwen oder
Täterinnen. Belledin fürchtete sich, Biggi könnte seinen Helden mit ihm
gleichsetzen. Ohnehin hatte er gefürchtet, man könnte aus dem Manuskript seine
innersten Wünsche und Ängste herausfiltern.
»Im Oktober kommt mein zweiter Roman heraus.«
»Und, wie heißt er?«
»Mördertitten.«
Belledin glaubte sich verhört zu haben, räusperte sich trotz seiner
starken Halsschmerzen und wusste nicht, ob er nun lauthals lachen sollte oder
einfach so tun, als hätte er »Tod in Venedig« gehört. Er entschied sich für
Letzteres, was ihm aber sehr große Mühe bereitete. Er stand kurz davor, ein
Exemplar zu erbitten, wechselte dann aber das Thema.
»Wieso haben Sie gestern so fluchtartig das Gasthaus verlassen, als
das Thema auf Hartmanns Beziehungen zu Frauen kam? Hatten Sie auch etwas mit
ihm?«
»Wir hatten Sex. Harten und guten Sex. Zwei oder dreimal, aber dann
gleich mehrmals«, sagte sie, und Belledin glaubte in ihrer Stimme einen Hauch
von Sehnsucht zu hören. Oder war es gar ein leichtes Stöhnen gewesen? Er musste
sich zusammenreißen. Es konnte doch nicht angehen, dass er Biggi von seinem
Schoß wies und diese fremde blauäugige Gazelle ihn gleich in wildeste Phantasien
verstrickte.
Er schluckte. Er wusste nicht, ob es seine Mandeln waren, die gerade
weiter anschwollen. Er trank einen Schluck aus dem Wasserglas, das ursprünglich
für seinen Gast bestimmt war. »Wo waren Sie am 18. September zwischen zwanzig
und zweiundzwanzig Uhr?« Er wollte das Gespräch wieder unter seine Kontrolle
bringen.
»Im ›Flesh&Blood‹, da gibt es einige, die das bezeugen können.«
»›Flesh&Blood?‹«, wiederholte Belledin fragend und hoffte, dass
es kein Sadomaso-Schuppen war.
»Hinterm Martinstor, in der Rempartstraße, wo früher die
Filmbuchhandlung war, da ist jetzt ein Gothic-Shop. Ich habe dort eine Lesung
gehalten, um für meinen neuen Roman zu werben.«
»Mördertitten.«
Anke Prückner
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