Roter Regen
nickte stumm, Belledin atmete tief durch. »Wir werden
das überprüfen. Ich bitte Sie, die Gegend in nächster Zeit nicht zu verlassen.«
Die nächste Phrase, aber was blieb Belledin anderes übrig.
»War das alles? Deshalb haben Sie mich herbestellt?«, fragte Anke
Prückner nun etwas gereizt.
»Seien Sie froh, dass es alles war. Sonst würden Sie jetzt in einer
Zelle sitzen und auf Ihren Anwalt warten«, gab Belledin den harten Cop. Es
sollte ihm helfen, die erotische Spannung, die zwischen Anke Prückner und ihm
schwelte, zu vertreiben.
Sie lächelte gelassen. »Ich habe verstanden. Ich kann auch
verstehen, dass Sie mich nach meinem Ausraster in der Kneipe verdächtigen,
Hartmann umgebracht zu haben. Aber das Geschwätz der anderen Frauen war mir
dermaßen auf die Nerven gegangen.«
»Inwiefern?«
»Glorifiziert haben sie den Gauner. Noch immer nicht erkannt, dass
er es nur auf ihr Geld abgesehen hatte.«
»Und Sie, haben Sie ihm kein Geld gegeben?«, wollte Belledin wissen.
»Ich habe andere Reize, und die genügten ihm«, lächelte Anke
Prückner. »Außerdem, wenn ich es getan hätte, dann mit mehr Phantasie.«
Ihr Blick ließ in Belledin wieder eine Ahnung dieser Phantasien
aufsteigen; den harten Cop würde er sich bei ihr wohl vorerst abschminken
können. Wenn er bei ihr weiterkommen wollte, würde er eine andere Strategie
fahren müssen.
* * *
Erst hatte Killian befürchtet, Margit würde mit ihm die einzelnen
Stellen abgehen, die er zu fotografieren hatte; aber dafür hatte sie gar keine
Zeit. An allen Ecken und Enden war anzupacken nach dem Desaster, das der Regen
verursacht hatte. Das Wichtigste war, mögliche Ernte noch einzufahren; und so
hatte Margit schnell Erntehelfer zusammengetrommelt, die retteten, was noch zu
retten war.
Wegen der Fäulnis, die die lange Regenzeit verursacht hatte, war es
notwendig, die Trauben bereits beim Ernten von Hand zu verlesen und faule
Beeren herauszuschneiden. Was sich dann davon im Bottich sammelte, wurde später
noch einmal auf ein Förderband gelegt, an dem erneut Späher standen, die darauf
achteten, dass nichts Faules oder Saures im künftigen Wein landete. Diese Art der
Auslese war aufwendig, und nicht jeder Winzer konnte sie sich leisten. Aber für
das Weingut Brenn war es Pflicht. Brenn konnte von dem Debakel sogar
profitieren. Je weniger Wein es von diesem Jahrgang geben würde, umso mehr
würde die Nachfrage für edle Tropfen dieser Saison steigen. Obendrein konnte
Brenn es sich leisten, sich gegen derartige Unwetter zu versichern. Er
verdiente also auf beiden Seiten. Killian vermutete sogar, dass Herbert Brenn
darauf spekulierte, durch den Regen weitere Rebstücke hinzukaufen zu können, da
die kleineren Winzer es sich nicht mehr leisten konnten, ein weiteres Jahr auf
Verdacht zu investieren.
Killian schoss noch ein Foto von dem umgekippten Traktor, vor dem er
gestern Margit gerettet hatte, dann wechselte er das Objektiv. Er hatte die
Schäden bislang mit kurzer Brennweite fotografiert, um möglichst viel
Tiefenschärfe und Dokumentationscharakter zu erhalten. Jetzt setzte er ein
großes Teleobjektiv auf seine Nikon, das er als Fernglas benutzen wollte. Das
Objektiv war eines jener Sonderanfertigungen, die er Moshe zu verdanken hatte.
Killian war damit fast in der Lage, den Mann im Mond beim Zähneputzen zu
beobachten. Jetzt schwenkte er es über die Weite der Rebberge.
Auf der anderen Seite, etwa einen Kilometer Luftlinie entfernt,
bewegte sich ein Monsterfahrzeug durch die Reben, das aus der Retorte eines
verrückten Insektenwissenschaftlers hätte entsprungen sein können … Killian
hatte schon einiges von diesen Ungeheuern gehört, aber noch nie eines gesehen.
Gigantisch und erschreckend zugleich: Vollernter! So nannte man diese Panzer.
Endlich hatte die industrielle Revolution auch im Rebberg ihren Siegeszug
angetreten. Wo wollten die letzten Weinberg-Cowboys jetzt noch hin? In den
Mythen der US -Amerikaner
flüchteten die echten Cowboys einst immer mehr in den Westen, weil sie den
Stacheldraht fürchteten – erfolglos.
So sollte es auch jenen Weinbergträumern ergehen, die noch vom
Rebensaft als kulturellem Gut schwärmten. Nach der Flurbereinigung in den
achtziger Jahren war nun mit dem Vollernter der nächste gewaltige Einschnitt
gekommen. War der Wein nur noch ein synthetisches Geschäft? Das Aussuchen der
Lage, das Bearbeiten des Bodens, das Päppeln und Veredeln der Rebe, das Düngen
und Schützen vor Krankheiten während des
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