Roter Regen
Wuchses, das Beschneiden wild
wuchernder Triebe, das warme Wort mit dem gewachsenen Stock bis hin zur
spannungsgeladenen Ernte, die mit Freunden, Verwandten, Bekannten und auch
günstigen Erntehelfern aus dem Osten gefeiert wurde – noch immer war es doch
ein Austausch zwischen menschlicher Arbeit und pflanzlichem Gedeih.
Das Ungeheuer mit den mannshohen Reifen aber durfte nichts von
Austausch wissen, sein Gebot war Effizienz. Mit zwei brachialen Rädern, die die
Zilden links und rechts in die Mangel nahmen, walzte sich das Gefährt durch die
Reben. Zurück blieben nur die bloßen Rispen, keine einzige Beere. Es sah
gespenstisch aus. Wie wenn der liebe Gott vergessen hätte, die Beeren an die
Reben zu malen, nackt und seelenlos. Killian schauderte und schoss ein paar
Fotos von den Skeletten.
Dann schwenkte er mit seinem Objektiv in die kleine Talsenke, in der
der Brenn’sche Hof lag. Es fing Margit ein, die mit Silke hinter dem Wohnhaus
stand und wohl eine heftige Auseinandersetzung führte. Sie fuchtelte wild mit
den Armen, lief vor Silke auf und ab und reckte dann eine Hand drohend in die
Höhe, als wollte sie auf ihre Schwester einschlagen. Diese lachte nur, ging
davon und stieg in ein Auto, mit dem sie vom Hof fuhr. Margit ließ sie ziehen,
setzte sich auf eine Weinkiste und stützte erschöpft den Kopf in die Hände.
Killian dachte daran, was Bärbel ihm erzählt hatte. Wie weit war die
Beziehung zwischen Hartmann und Silke bereits gediehen gewesen? War zwischen
den beiden mehr gewesen als ein Flirt? War diese Beziehung für die Brenn’schen
Wirtschaftspläne gefährlich geworden? Was wenn Silke plötzlich nicht Andreas
Zimmerlin, sondern Thomas Hartmann hatte heiraten wollen? Killian musste mehr
über die Wirtschaftslage der Brenns erfahren.
* * *
>Anke Prückner ging Belledin nicht aus dem Kopf. Er war schon lange
bei der Polizei, und nichts war, wie es auf den ersten Blick schien, das hatte
er gelernt. Aber diese Frau hatte ihm dennoch eine Lektion erteilt.
»Nichts ist, wie es scheint«, nuschelte er in sich hinein, während
er in seinem Notizblock herumsudelte. Er notierte sich diesmal aber nichts,
sondern zeichnete nackte Brüste. Das tat er oft, auch während er telefonierte.
Es waren nicht immer Brüste, manchmal auch düstere Comics mit Ganoven, die
rauchten, und Huren, die ihren Pudel zur Laterne an der Straßenecke Gassi
führten. Vielleicht würde er aus seinem Manuskript auch einen Comic zeichnen?
Er zeichnete gerne und gar nicht mal so schlecht. Jedenfalls war er mit den
Brüsten, die er gerade mit Licht und Schatten schraffierte, um ihnen Fülle zu
geben, recht zufrieden. Jetzt setzte er noch eine Splatterschrift darüber:
»Mördertitten«, mit drei Ausrufezeichen.
Belledin seufzte und schlug das Blatt des Notizblockes um. Die
nächste Seite war fast leer, es stand nur der Name »Dr. Merz« darauf, daneben
eine Telefonnummer. Dr. Merz war neben Belledin und dem Pfarrer der einzige
Mann gewesen, der zu Hartmanns Begräbnis gekommen war. Er war Arzt und hatte
seine Praxis ebenfalls in Bötzingen. Belledin wusste, dass einige Ärzte
Hartmann Kundschaft hatten überlassen müssen, seitdem er in Bötzingen
praktiziert hatte. Vielleicht waren Eifersüchteleien oder Existenzängste der
Mitbewerber ein Motiv?
Belledin schlug das Blatt um und reflektierte seine nächste Notiz:
»Bühler, Jenne«, las er und kratzte sich am Kopf.
Vielleicht sollte er sich erst um diese zwei kümmern? Er könnte aber
auch Wagner auf die beiden ansetzen, immerhin waren sie Winzer. Wagner wäre da
womöglich näher dran, könnte mehr Vertrauen wecken, ihnen durch gemeinsames
Lamento über die Missernte etwas Brauchbares, gar Verräterisches entlocken. Die
Leute waren zugänglicher und unvorsichtiger, wenn sie ähnlichen Stallgeruch
witterten.
Aber mit Wagner war im Moment nichts anzufangen. Der dachte nur noch
an seinen Essig, den er in diesem Jahr einfahren würde. Wagner würde eher mit
den Winzern einen neuen Bundschuhaufstand wagen, als einem von ihnen anständig
auf den Zahn zu fühlen. Also würde es Belledin selbst übernehmen. Er hatte die
Frauen der beiden Kleinwinzer auch bei dem Begräbnis gesehen, sich die Namen
allerdings erst im Nachhinein notiert, als Wagner ihm von der Regenmaschine
erzählt hatte. Wenn die Frauen in Hartmanns Projekt investiert hatten, wäre
nicht nur der Dauerregen ein Motiv für einen Mord gewesen; vielleicht hatten
die Ehegatten herausgefunden, dass es gar keine
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