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Roter Regen

Titel: Roter Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
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auch Urlaub. Wagner übte sich als Winzer, Selinger hielt sogar
Wochenende, nur Belledin arbeitete, rund um die Uhr, Tag für Tag, Jahr für
Jahr. Und er hatte es nie bemerkt. Erst jetzt, da der Atem kürzer wurde, sein
Hirn nach schnellen Lösungen suchte, die er früher noch nicht einmal im Ansatz
hätte keimen lassen, jetzt dämmerte es ihm langsam.
    »Mit Zucker?« Belledin blickte vom Display auf, das er während
seines Brainstormings verschwommen angestiert hatte, und nahm die Tasse Kaffee
entgegen. »Zwei, und ohne Milch.«
    Anke ließ zwei Würfel in den Kaffee fallen. Ihre Fingernägel waren
noch immer in dem Schwarz lackiert, mit dem sie als Maria Bava die Seiten ihres
Buches umgeblättert hatte.
    Belledin rührte den Zucker um und versuchte beim Trinken nicht zu
schlürfen. Zu Hause tat er es aus Fleiß, was Biggi stets dazu veranlasste, das
Radio besonders laut zu stellen. Bei Anke Prückner wollte er es sich nicht
verscherzen, mit ihr war er schließlich nicht verheiratet. Man tat ja so vieles
nicht, wenn man frisch verliebt war.
    Anke nippte an ihrem Espresso, ebenfalls ohne zu schlürfen, dann
ging sie in Richtung Sitzgruppe, die Geschmack bewies, dafür aber nicht bequem
aussah. Sie ließ sich in einen der Sessel fallen und verschüttete dabei nicht
einen Tropfen aus ihrer Tasse.
    Belledin tat es ihr nach und achtete peinlichst darauf, ebenfalls
nicht zu kleckern. Es gelang ihm, und er war stolz darauf, sich in Gegenwart
von Anke wie ein wohlerzogener Mensch zu verhalten. Für einen Moment schien ihn
eine Blähung foppen zu wollen, aber sie beruhigte sich wieder und verschwand in
den Schlingen seines Gedärms. Das wäre das Allerschlimmste gewesen, was ihm
hätte passieren können: ein Furz, der jeden Flirt im Ansatz erstickte.
    Anke lächelte ihn unbeholfen an. »Und? Was halten Sie davon?«
    Belledin wiegte den Kopf, ehe er antwortete: »Was für eine Liste
soll das sein? Besitzen Sie denn eine?«
    »Natürlich besitze ich Listen, Hunderte. Aber darauf stehen nur
Ideen zu neuen Geschichten. Figurenskizzen, Scherze, Anekdoten. Nichts von Wert
…«
    »Besaß Hartmann eine Liste, die von Wert war? Vielleicht etwas, das
mit dem Regenprojekt zu tun hatte? Sie wissen, dass er Regen machen wollte,
oder?«
    »Natürlich, jeder wusste davon. Das war das Erste, was er einem auf
die Nase band. Dadurch wollte er beeindrucken. Und oft hat das ja auch
funktioniert. Es gab kaum eine Frau, die ihm kein Geld für seine Wundermaschine
gespendet hätte.«
    »Sie auch?«
    Anke lachte: »Ich? Wovon? Glauben Sie etwa, von den acht Prozent
Tantiemen pro Buch kann man Hirngespinste anderer subventionieren? Es ist ja
schon ein Wunder, dass die eigenen Quergedanken ihren rar gestreuten Platz
finden.«
    »Ihr neues Buch wird bestimmt ein Bestseller«, versuchte sich
Belledin in tollpatschiger Schmeichelei. Er merkte, wie er dabei errötete; vor
allem weil er es noch gar nicht gelesen hatte und nun befürchten musste, Anke
würde ihn eindringlicher darüber befragen. Daher kam er sofort wieder auf die
Liste zurück.
    »Vielleicht stand auf der Liste, wie man dieses Vehikel zusammenbaut
oder so was in der Art. Ich bin kein Physiker, ich habe keine Ahnung. Ich freue
mich über Sonnenschein, und ich fluche bei Regen. Schon die bloße
Wettervorhersage ist für mich ein Rätsel.«
    »Für einen Kommissar wäre das aber von Bedeutung, finden Sie nicht?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Nun, wer voraussehen kann, wie das Wetter wird, kann logisch
denken, und wer logisch denken kann, fängt mehr Banditen«, lächelte Anke
Prückner. In ihrem Lächeln steckte eine erotische Provokation, die Belledin
nicht so einfach hinnehmen wollte.
    »Reine Logik funktioniert nur im geschlossenen statischen Raum.
Sobald Dynamik hinzukommt, wird es sehr komplex. Da scheint dann die Sonne, und
es regnet zugleich, Hagel zerstört die Ernte und der Föhn steigert die Migräne,
ein Blitz zuckt am Himmel und ein trockener Lehmbrocken zerbröselt zwischen den
Fingern, alles zur selben Zeit, beinahe am selben Ort. Denn Raum und Zeit sind
relativ.« Belledin sah Anke eindringlich an.
    »Wollen Sie mein nächstes Buch schreiben?«, fragte Anke Prückner
charmant.
    Belledin lachte. Es gefiel ihm, dass er mal wieder in Bildern
geplaudert hatte. Früher war er damit großzügiger gewesen. Aber seine Bilder
hatten sich abgeschliffen, waren nur noch Schablonen.
    »Die Liste«, versuchte er es dennoch erneut. »Worum könnte es sich
dabei handeln?«
    »Formeln, meinen

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