Roter Regen
nun immerhin tot und man durfte ihn
verklären. Aber Killian lebte, obwohl man ihn schon oft totgesagt hatte.
Als sie vor zwei Tagen mit ihm im Atelier geschlafen hatte, hatte
sie seine Narben gesehen und gespürt. Und trotzdem war sie noch immer wütend
auf ihn. Und auch auf Swintha, weil sie nicht anrief, obwohl Bärbel ihr bereits
mehrfach auf die Mailbox gesprochen hatte.
Sie schwang sich auf und begann mit den Büchern, die das Sofa
bevölkerten. Sie schob das Lehrbuch »Psychiatrie und Psychotherapie für
Heilpraktiker« in das Regal, das ihre medizinischen Nachschlagewerke
beherbergte, und war überrascht, als ein Blatt herausfiel. Zwar hatte sie das
Buch während der zwei Wochen in der Toskana intensiv durchgearbeitet, aber
zerfleddert hatte sie es bestimmt nicht. Daran erkannte man lediglich die
Bücher, die sie einmal an Killian ausgeliehen hatte.
Sie bückte sich nach dem Papier und sah, dass es ein Foto war. Von
Killian konnte es nicht sein. Der fotografierte keine Kristalle, so viel sie
wusste. Sie drehte das Foto um. Auf der Rückseite standen einige
handgeschriebene Zahlen. Telefonnummern vielleicht. Zwischen den Zahlen
tauchten allerdings auch einzelne Buchstaben auf:
149684t7621 – BL– Z
400393939s2 – B – K
30986f87689 – S – L
Bärbel wusste damit nichts anzufangen. Sie drehte das Foto wieder um
und besah sich den Kristall. Er war schön; in seinem Herzen schimmerte er
rötlich. Thomas hatte ihr viele seiner Kristallaufnahmen gezeigt, und den
meisten hatte er poetische Namen gegeben. Auch dieses Foto kannte Bärbel.
Thomas hatte den Kristall »Roter Regen« getauft. Eigentlich hätte er ihn auch
»Schwarzes Gift« nennen können, hatte er gesagt, denn der Kristall stammte aus
einem spätherbstlichen Rußregentropfen aus Bukarest. »Roter Regen« stand wohl
auch für die blutigen Ungerechtigkeiten, die sich laut Thomas energetisch in
die Qualität des Wassers festgebissen hatten. Bärbel war das zunächst etwas
abstrus erschienen. Aber wieso sollte dem nicht so sein? Nur weil es noch
keiner gedacht hatte, war es noch lange nicht unmöglich; außerdem sprach Thomas
immer mit einer Selbstverständlichkeit, die alle Zweifel im Keim erstickten.
Bärbel glaubte daran, dass Wasser die energetischen Schwingungen der Umwelt
aufnehmen und speichern konnte, und sie glaubte auch daran, dass es Thomas mit
»Regen für alle« ernst gewesen war; aber sie glaubte nicht daran, dass sie ihre
fünfzigtausend Euro jemals wiedersehen würde. Sie schämte sich, dass sie an ihr
Geld dachte, wo sie doch um Thomas trauern sollte.
Das Läuten des Telefons unterbrach ihren Gewissensbiss.
Bärbel überlegte kurz, ob sie überhaupt abnehmen sollte, entschied
sich dann aber dafür und kreischte laut vor Entzücken, als sie Swinthas Stimme
am anderen Ende der Leitung hörte.
* * *
>Killian hangelte sich von einem Hölzchen zum nächsten. Es war etwas
anderes, ob man über Google Recherchen anstellte oder ob man die Möglichkeit
hatte, über das Mossad-Archiv zu verfügen. Manchmal hatte es eben auch
Vorteile, dass man seine Seele verpfändet hatte.
Killian versuchte, an der Spur Lupescu zu bleiben und dort weitere
Anhaltspunkte und Bestätigungen für seine Theorie zu finden. Über Hartmann
hatte er wenig herausbekommen. Zwar war dieser bereits als »Regenmacher«
vermerkt worden, aber er war nicht in die engere Auswahl aussichtsreicher
Tüftler gekommen. Dort befanden sich allerdings vier andere, die mit mehr
Überwachung rechnen durften: ein Russe, ein Inder und eine Rumänin, außerdem
noch ein Schweizer namens Hangartner, über den Killian früher schon mal etwas
gelesen hatte. Aber der Schweizer war mehr der Prellbock, dessen Scheitern man
in der Öffentlichkeit zeigen konnte, um von den tatsächlichen Bestrebungen,
Herr des Regens zu werden, abzulenken. Denn die Mächte wussten sehr wohl, dass
damit Staat und Kapital zu machen war.
Igor Koplovjew, der Russe, war bereits für Breschnews
Schönwetterparaden mit in der Verantwortung gestanden, hatte aber seit Jahren
nichts mehr bedeutend nach vorne gebracht. Außerdem unterstellte man ihm
starken Alkoholismus. Aber bei welchem Russen tat man dies nicht?
Der Inder, John Ramish, war Nachfahre brahmanischer Tuchhändler. Er
verpulverte in wahnwitzigen und selbstmörderischen Versuchen einen Großteil
seines Vermögens in den trockensten Gegenden der Welt, in der Hoffnung auf ein
paar Tropfen selbst gemachten Regens.
Sowohl über Koplovjew als auch über
Weitere Kostenlose Bücher