Roter Regen
Bei dem Anblick schielte er durch die Windschutzscheibe auf die
kleine Delle, die ihm der aggressive Pensionär verpasst hatte, und schüttelte
missmutig den Kopf.
Er würde über die March nach Bahlingen fahren. Direkt hinter der
Adler-Mühle wohnten die Bühlers. Belledin blickte auf die Uhr. Wenn er Glück
hatte, kam er rechtzeitig zum Kaffee. Helga Bühler verstand es, einen
exzellenten Nussschokoladenkuchen zu backen. Wenn Belledin ehrlich wäre, würde
er Biggi gestehen, dass Helgas Kuchen den ihren bei Weitem übertraf. Aber wie
sollte er in Sachen Kuchen ehrlich sein können, wenn er sich schon nicht
getraute, nach virtuellen Seitensprüngen direkt nach Hause zu fahren?
Hinter dem Hoftor bollerte das Geräusch eines Traktormotors, der
wohl einen Schluckauf hatte. Dann soff er ab. Ein Fluch schoss hinterher.
Belledin zielte mit seiner Fernbedienung auf die
Allroundverriegelung seines Wagens und klopfte dann an das hölzerne Tor. Das
Knurren eines Schäferhundes antwortete, dann sprang der Traktor wieder an und
erstarb erneut. Wieder ein Fluch. Diesmal lauter.
Belledin klopfte ein zweites Mal. Auch lauter und obendrein auf das
Blechschild, das vor einem bissigen Hund warnte.
Da sich der Schäferhund in Sachen Crescendo wohl nicht lumpen lassen
wollte, drehte auch er auf und fiel vom Knurren in lautes Gebell.
»Halt d’ Gosche, Aschta! Sitz! Brav!«, drang es durch das Holztor,
aber Asta bellte weiter. Sie hatte Witterung aufgenommen.
»Herrgottsack! Helga! Nimm emol dä Hund äweg. Der macht’s ganz Dorf
rebellisch! Un ich kann mich nit konzentriere.«
»Springt er nit a?«
»Hä doch springt er a. Aber sufft immer wieder ab.«
»Willsch nit doch dä Hilpert ariefe?«
»Jo selle. Am End isch nix gmacht un der hät ä Begel.«
»Dü frogschn doch immer, ob er nit probiere will.«
»Ma kann jo au nei sage.«
»Tätsch dü nei sage?«
»Henei. Ganz gwiss nit.«
Beide lachten.
Belledin hämmerte erneut ans Holztor. Asta kläffte hysterisch.
»Halt endlich d’ Gosche! Nimmsch jetz mol den Hund!«
»Wer isch des?«
»Hä weiß ich’s? Kann ich durchs Tor gucke?«
»Vielliecht isch’s dä Hilpert. Dass der Bulldog nimmi aspringt, hört
ma bis Bötzinge.«
»Häschn dü agrieft?«
»Gar nix hab ich.«
»Wer isch’s denno?«
»Hä, mach halt uff, denn weisch’s.«
»Aschta! Platz!«
Belledin wollte gerade zum nächsten Klopfen ansetzen, da wurde die
kleine Tür im großen Holztor geöffnet.
Arthur Bühler stand in dem verwaschenen Blau seiner Arbeitskluft vor
ihm, Asta am Kettenhalsband bändigend.
»Henei, lug emol do na. Hä, lebsch du au noch? Hä, des isch ä
Überraschung, bi Gott.«
»Wer isches?«, erscholl es aus dem Hofinneren.
»Des verrotsch nit«, warf Bühler über die Schulter zurück.
»Dä Hilpert? Wie ich’s gsagt hab?«
»Jo, glaubsch es.«
»Jetzt sag scho.«
»Ich gib da ä Tipp.« Bühler zwinkerte Belledin zu, dann begann er zu
singen: »Im tiefen Keller sitz ich hier, bei einem Fass voll Reben …« Per
Kopfzeichen munterte er Belledin auf, mitzusingen. Der stimmte mit ein. »Bin
frohen Muts und lasse mir vom allerbesten geben. Der Küfer zieht den Heber
hoch, gehorsam meinem Winke, reicht mir das Glas, ich halt’s empor und trinke,
trinke, trinke.«
Beim zweigestrichenen C auf der letzten Silbe von »empor« war
Belledin bereits ausgestiegen, da ihm sein entzündeter Hals einen mächtigen
Stich versetzt hatte.
»Einer vum Gsangsverein?«, spekulierte Helga. »Des kann ebis gä.«
Bühler reichte Belledin die Hand, die er noch freihatte, während er
mit der anderen Asta beinahe erwürgte. Belledin und Bühler maßen sich im
Händedruck und einigten sich auf ein Remis. Dann bat Bühler ihn hinein und
sperrte Asta in einen engen Zwinger, wo sie sich mit der ausgestopften
Vogelscheuche des Vorjahres die verdiente Rauferei gönnte.
Helga schlug die Hände zusammen und wischte sie dann an ihrer
Schürze ab. Sie dachte nicht daran, die Holztreppe in den Hof hinunterzugehen,
um Belledin zu begrüßen. Er würde ohnehin hochkommen. Es reichte, wenn sie
einmal am Tag die Küche verließ, um einzukaufen. Weitere Ausnahmen, die sie
noch gelten ließ, waren Friseurbesuche, Dorffeste und Beerdigungen. Vielleicht
noch Familiengeburtstage. Aber am liebsten lud sie die Sippe zu sich ein. Nicht
nur weil sie gern bewirtete, sondern schlicht aus dem Grund, weil sie das
Treppensteigen verabscheute. Sie hatte eine laute Stimme. Ihr Mann konnte sie
von hier oben überall
Weitere Kostenlose Bücher