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Roter Regen

Titel: Roter Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
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Ramish gab es ausgereifte
Dossiers mit Details über Person, Netzwerke, wissenschaftliche Arbeiten,
Vorlieben, Abneigungen und strategische Hebelpunkte. Von der Rumänin hingegen
wusste man lediglich den Namen und den tabellarischen Werdegang. Sie hieß Anna
Popescu, war neunundzwanzig Jahre alt und hatte in Cambridge in Physik und Mathematik
ihren Master summa cum laude abgeschlossen. Trotz mehrerer Angebote
internationaler wissenschaftlicher Fakultäten hatte sie es vorgezogen, als
Grundschullehrerin nach Bukarest zurückzukehren. Im Grunde war sie in der Liste
nur aufgeführt, weil sie ihre Masterarbeit in Physik über das Thema »Thermik
und die Träume der Regenmacher« geschrieben hatte.
    Das war nicht viel, aber sie war Rumänin. Und Hartmann hatte Kontakt
nach Rumänien gehabt. Vielleicht war Anna Popescu Hartmanns Partnerin gewesen
oder Lupescu hatte sie engagiert, um Hartmanns Theorien überprüfen zu lassen.
Ging es Lupescu am Ende doch nicht nur um Geld? War doch etwas an Hartmanns
Plänen dran, das die Wissenschaftler des Mossad übersehen hatten?
    An Lupescu würde Killian nicht rankommen. Zwar könnte er vermutlich
erfahren, wo er sich aufhielt, aber ohne Beweise würde ihm noch nicht einmal
Moshe erlauben, sich dem großen Strippenzieher Transsilvaniens offiziell zu
nähern. Nicht aus Angst um Killians Leben, was durchaus gerechtfertigt wäre, sondern
vielmehr wegen der politischen Komplikationen, die eine unbewiesene
Anschuldigung nach sich ziehen würde.
    Aber Anna Popescu war ein Ziel, das Killian anvisieren durfte. Wenn
es sein musste, würde er auch nach Bukarest fliegen. Es ging um Margits Unschuld
und um das Schließen eines Kapitels in Killians Leben, das noch nicht zu Ende
erzählt worden war. Und Killian trug zu viele offene Kapitel in sich, und
ständig kamen neue hinzu; gleich einem Computer, dem ein Virus so lange neue
Fenster öffnete, bis er vor Überlastung kollabierte.
    Killian versuchte, ein Foto von Anna Popescu zu finden. Das Dossier
zeigte sie lediglich eingekreist auf einem Gruppenfoto der Abschlussklasse von
Cambridge. Killian zoomte das Foto näher. Er erkannte blondes glattes Haar, das
auf ihren schwarzen Talar fiel. Ihr Gesicht kam ihm bekannt vor, aber er wusste
nicht, wo er es einordnen sollte.
    * * *
    Anke Prückner sah Belledin nach, wie er den Kiesweg zum Gartentor
entlangschritt. Bevor er das Tor öffnete, blickte er sich noch einmal zu ihr
um. Sie winkte ihm, und er hob den Arm. Dann verschwand er hinter dem Tor, und
Anke zog den Vorhang zu.
    Belledin spürte ihren Blick durch die Gardine. Er kam sich vor, als
hätte er gerade seine Geliebte verlassen, der er versprochen hatte, sich sobald
die Kinder aus dem Haus wären, von seiner Frau zu trennen. Dabei war gar nichts
gewesen. Und trotzdem konnte er jetzt nicht einfach nach Hause fahren. Er
konnte Biggi noch nicht sehen; nicht direkt im Anschluss. Er brauchte noch
einen Zwischenschritt, um einen klaren Kopf zu bekommen. Zwar war sein erster
Impuls gewesen, Anke Prückner vor dem unbekannten SMS -Absender zu schützen, aber er hatte dann doch
eingesehen, dass die Frage nach Listen nicht ausreichte, um die Nacht bei ihr
zu verbringen. Bei dem Gedanken hatte er sogar rote Ohren bekommen, umso größer
war dann auch sein Drang gewesen, sich in rationale Arbeit zu stürzen. Er
musste noch mal alle Fäden überprüfen, auch die, die er noch gar nicht
aufgenommen hatte.
    Belledin zückte auf dem Weg zum Auto seinen Notizblock und blätterte
darin. »Bühler und Jenne« las er leise. Das waren die beiden Winzerfrauen, die
an Hartmanns Begräbnis teilgenommen hatten. Vielleicht hatten sie auch etwas
mit dem Schwerenöter gehabt, und einer der Ehemänner war dahintergekommen?
Warum nicht? Margit durfte er noch nicht verhören, und die Winzer störte man am
Sonntag am wenigsten. Die beste Methode, aus seiner Gefühlsduselei zu
entkommen, war, den Fall nüchtern und bis ins kleinste Detail anzugehen. So
komplex er war, so wichtig war es, den kleinen Möglichkeiten nachzugehen.
    Die Fahrt über den Zubringer war angenehm. Vermutlich machten gerade
alle ihren Sonntagnachmittagspaziergang, um zwischen Mittagessen und
Kaffeekranz ein wenig Platz im Magen zu schaffen. Belledin glaubte am Ufer der
Dreisam wieder die walkende Rentnertruppe zu erkennen. Aber es konnte auch eine
andere Gruppe sein, wie sollte man sie schon unterscheiden? Die Stöcke im
Gleichschritt entschieden in den Boden rammend, das silberne Haar dem Alter
trotzend.

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