Roter Regen
Dienst.« Belledins Wandlung war
unheimlich. So gemütlich er sich der Tradition hingeben konnte, so schnell
konnte er zum kalten Haifisch werden. Und was dem Raubfisch die Zähne waren,
das erledigte bei Belledin der Blick. Durchdringend sah er die Bühlers mit
seinen dunkelbraunen Augen an, einen nach dem anderen, in rhythmisch
berechneter Abwechslung. Nur ein Porzellanteller, der auf den Küchenboden
fiele, könnte jetzt die Spannung auflösen. Aber er fiel nicht. Helga klammerte
sich fest an ihn.
»Helga, pack dä Koffer, ich muss ins Gfängnis«, sagte Bühler
trocken, veranschlagte danach eine kleine Pause, ehe er in donnerndes Gelächter
verfiel. Jetzt war er wieder im Bariton.
Helga und Belledin lachten nicht mit. Sie rieb so verzweifelt einen
bereits abgetrockneten Kuchenteller mit dem Geschirrtuch, als wollte sie den
Teller und gleichzeitig das im Raum stehende Problem damit in Nichts auflösen,
während Belledin keine Miene verzog.
»Weisch was, Belledin, wenn ich’s gwese wär, hätt ich mich
freiwillig gschtellt. Denn hätt ich ä Orde vu dä andre Winzer kriegt. Um selle
Dreckspatz isches nit Schad«, sagte Bühler ruhig, aber mit Nachdruck.
»Warum?«, fragte Belledin.
»Der hätt doch alle verarscht, vu vorne bis hinte …«
»Inwiefern?«
»Mit sienere Regemaschin. Ich versteh was vu Motore und vu Maschine
generell. Ich reparier miene Sache alle selber. Dä einzig, wo mir noch was
zeige kann, isch dä Hilpert. Und selli Regemaschine – die hätt nie im Lebe
funktioniert.«
»Hast du ihm Geld gegeben?«
Bühler goss sich nach und nahm einen Schluck. Er ließ sich Zeit,
spülte den Wein im Mund, kaute ihn länger als gewöhnlich, ehe er ihn endlich
schluckte.
»Des isch ä feins Tröpfle, findsch nit?«
Belledin blickte Bühler auffordernd an.
»Frog d’ Helga, die weiß es besser.«
Endlich flog der Teller auf den Kachelboden und splitterte über das
schwarz-weiße Schachbrettmuster. Helga öffnete sofort ein Türchen unter der
Spüle und zog Handfeger samt Besen hervor. Flink flog der Feger und schien die
Kacheln mit aus dem alten Kitt kratzen zu wollen, so vehement nahm sie es mit
dem Malheur auf.
»Helga?« Mehr sagte Belledin nicht.
Helga richtete sich auf, die Scherben des Tellers samt einigen
Kuchenkrumen lagen nun sicher auf der Kehrschaufel. Ihre Wangen begannen zu
beben; die Eruptionen, die danach durch ihren Körper zuckten, übertrugen sich
auf die Kehrschaufel, sodass die Scherben wie bei einem Erdbeben auf der
Schaufel zu hüpfen begannen.
Belledin wartete darauf, dass sie erneut auf den Boden fielen, aber
Helga bekam sich wieder in den Griff. Sie atmete einmal tief durch, dann sah
sie Belledin aus glasigen Augen an.
»Fuffzigtausend«, stieß sie aus und blickte dabei ängstlich zu
Bühler. Der biss sich bei der Nennung der Zahl auf die Unterlippe und starrte
auf das halb volle Weinglas in seiner Hand.
Belledin ließ die Summe einen Moment lag im Raum stehen, dann sagte
er: »Kein Pappenstiel.«
»Des wär ä neue Cormick gsie. Mindeschtens. Weisch, was des heißt?
Hä, du musch’s doch wisse, Belledin, du bisch doch uffm Hof uffgwachse. Ohne
Fuhrwerk bisch uffgschmisse. Un der alt Karre do unte, do hock ich meh an dä
Reparatur wie druff. Und dann kummt do so ä Dreckspatz daher, schwätzt ä wing
Hochdietsch, verdrillt dä Wieber de Kopf und zieht ihne ‘s Geld ussm Sack. Hä,
aber doch nit mit mir.«
»Und deswegen hast du ihm mit dem Messer die Kehle aufgeschlitzt?«
Die Scherben auf Helgas Schaufel begannen wieder bedrohlich zu
beben. Bühler drehte sich zu ihr um und nahm ihr das Kehrblech aus der Hand. Ruhig
legte er es auf den Stuhl neben sich und fuhr fort:
»Verwamst hab ich ihn, aber umbrocht nit. Henei, wege so einem
ruinier ich mir doch nits Lebe.«
Belledin sah Bühler eindringlich an, der hielt dem Blick stand.
»Wo warst du am 18. zwischen zwanzig und zweiundzwanzig Uhr?«
»Hä, jetzt simmer im Fernseh, Helga. Merksch es? De Belledin isch
einer vum ›Tatort‹. Und ich bin dä Hauptverdächtige. Hä, das ich so was noch
erlebe därf«, lachte Bühler. »Aber wie seit ma: Ich habe ein Alibi, Herr
Kommissar . Ich war nämlich daheim. Mir hän
gschlachtet, d’ Helga un ich. Dä Jenne Werner und sie Frau ware au däbie.«
Belledin nickte missmutig. Er ahnte, dass die Jennes ein sauberes
Alibi bezeugen würden. Schließlich war Frau Jenne ebenfalls zu Hartmanns
Beerdigung gekommen. Die hielten zusammen, vor allem wenn Hartmann auch ihnen
Geld
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