Roter Regen
auf. Jetzt war er dran!
Sie sah, wie Belledin erschrak, als er erkannte, dass der Vollernter
auf ihn zuraste. Panisch floh er in die Rebzeilen. Margit wendete den
Vollernter und setzte ihm nach. Ein Lächeln umspielte ihre trockenen Lippen.
Davon hatte sie schon geträumt, als sie vor über zwanzig Jahren von ihm in
Jugendhaft gesteckt worden war. Sie ließ den Motor immer wieder laut aufheulen,
um Belledin über das bedrohliche Geräusch noch mehr in Panik zu versetzen.
Dieser jagte von einer Zeile in die nächste, versuchte Haken zu
schlagen und hoffte vielleicht, dass dem Monster der Sprit ausgehen würde. Aber
die Maschine fraß sich hinter ihm immer wieder aufs Neue durch die Spaliere.
Der Rebenacker glich einem Schlachtfeld, der Vollernter kannte kein Erbarmen.
Margit berauschte sich an der Situation: Sie zerstörte gerade, was
sie jahrelang aufgepäppelt hatte, und sie fühlte sich großartig dabei.
Obendrein genoss sie die Angst Belledins, der wie ein zu dickes Kaninchen vor
ihr floh und dabei sinnlose Haken schlug. Es sollte sich ihm einbrennen, was es
hieß, gejagt zu werden.
Belledin wusste, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Zwar
spürte er keine Schmerzen, aber die Lunge verweigerte ihm die Sauerstoffzufuhr,
die es für diese Disziplin gebraucht hätte. Er hätte gerne hysterisch gelacht,
aber auch dafür fehlte ihm die Puste. Er konnte nicht mehr. Vor einem Abhang
blieb er stehen und blickte auf das getönte Glas der Fahrerkabine. Er stellte
sich Anna Popescus Gesicht hinter der verdunkelten Scheibe vor, wie sie zu
Maria Bava wurde und nach seinem Blut lechzte. Sollte sie ihn doch endlich
überfahren.
Doch im letzten Augenblick wurde das Lenkrad des Vollernters
herumgerissen, und das Monster schoss an Belledin vorbei.
Belledin sank auf die Knie und begann zu schluchzen. Die Dramatik
war zu viel für ihn. Hinter ihm rauschte der Vollernter die Böschung hinunter,
überschlug sich und jaulte beim Aufprall wie ein angeschossener Dinosaurier.
Die beiden Streifenpolizisten erreichten Belledin und halfen ihm
hoch. Er rang um Fassung. Der Blick auf die erlegte Riesenechse brachte ihn
wieder ins Geschäft. Noch war nicht klar, was mit Anna Popescu war. Entweder
sie würde gleich aus der Kabine gekrochen kommen, um zu fliehen, oder sie war
tot. Zwar gab es auch Mischmöglichkeiten, aber Belledins Hirn hatte im Moment nur
Glukose für eindeutige Analysen.
Schnaufend gab er den beiden Polizisten ein Zeichen. Sie schlichen,
ihre Pistolen im Anschlag, die Böschung hinunter und näherten sich dem
gestrauchelten Koloss von drei Seiten. Belledin steuerte auf die Kabinentür zu
und öffnete sie vorsichtig.
Der blutende Kopf von Margit Brenn fiel ihm entgegen.
Belledin war schockiert. Damit hatte er nicht gerechnet. Er hatte
gedacht, dass Wagner mit der Flüchtigen Anna Popescu gemeint hatte, sosehr war
er auf sie fixiert. Er war einfach nicht er selbst. Ein solcher Fehler hätte
ihm nicht unterlaufen dürfen. Wann nur hatte alles begonnen, schiefzulaufen? Wo
war der erste Fehler in der Kette? Es war nicht die Zeit, darüber nachzusinnen.
Margit lebte noch, sie musste ins Krankenhaus.
»Ruft einen Notarzt«, befahl er. »Und schiebt den Polizeiwagen aus
dem Schlamm.«
Dann versuchte er einen klaren Gedanken zu fassen. Wo war Anna
Popescu?
* * *
Anna hatte Killians Angebot aufmerksam gelauscht und dachte nach.
»Woher weiß ich, dass ich Ihnen trauen kann?«, fragte sie
schließlich.
»Sie leben noch«, lächelte Killian vom Monitor.
»Nein, ich bin tot. So oder so.«
»Leben Vampire nicht ewig?«
»Ah, das Rumänen-Klischee: stehlende Zigeuner und Blutsauger.«
»Liefern Sie uns den einen, der auf das Klischee passt?«
»Geben Sie mir die Zahlen?«
»Das darf ich nicht.«
»Sehen Sie.«
Es entstand eine kleine Pause, dann setzte Killian noch mal nach.
»Vertrauen Sie mir: Sie bekommen Ihre neue Identität.«
Zwar war es genau das, was Anna wollte, aber nicht auf diese Weise.
Sie wollte sich ihre neue Identität selbst schaffen. Niemand sollte wissen, wer
sie vorher gewesen war. Deshalb spielte sie dagegen.
Sie schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, wie viele Identitäten ich
schon angenommen habe? Und dennoch ist es mir nie gelungen die alte Anna
abzuschütteln. Immer bin ich das vergewaltigte Waisenkind geblieben, das
obendrein mit Hochbegabung geschlagen war. Was macht ein Mensch, der immer
schneller denkt als andere? Er kann sich nur mit sich selbst beschäftigen, weil
ihm sonst
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