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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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besser, wenn wir um Hilfe
schicken«, sagte Lee. »Sie ist verletzt. Diese Paste war
womöglich eine Art Kokon. Sieh mal, da ist ein Zylinder unter
ihrer Hüfte – ich schätze, er hat die Paste
erzeugt.«
    Guoquiang grinste höhnisch. »Natürlich, Wei Lee, du
bist ein Experte darin, wie die Himmelsstraße
arbeitet.«
    »Sie ist nicht zum Sterben hier heraufgekommen«, sagte
Lee. »Sie hat Hilfe erwartet.«
    Xiao Bing sagte: »Die Ku li. Ich kann nicht sterben,
Guoquiang, noch nicht.«
    »Dann beeilen wir uns besser«, sagte Guoquiang. Er
reichte Xiao Bing seine Pistole und brachte die Hände unter die
Schultern der Pilotin, aber als er versuchte, sie auf die
Füße zu ziehen, zitterte und wand sie sich wie ein
gestrandeter Fisch.
    »Laß sie in Ruhe, du Narr!« sagte Lee. Xiao Bing
umklammerte seinen Arm. Die Pilotin sagte etwas, ein heiseres
Flüstern. Guoquiang beugte sich vor, um die Worte zu
verstehen.
    Die Pilotin lächelte und spie ihm Blut ins Gesicht.
    Guoquiang fluchte und trat nach ihr, und Lee warf ihm einen
Armschlüssel um den Hals und zog. Er hatte ihn halb aus der
Spalte gezerrt, ehe es Guoquiang gelang, ihm einen harten Ellbogen
unter den Brustkorb zu rammen. Lee setzte sich hart hin. Einen
Augenblick später saß Guoquiang rittlings auf seiner Brust
und brüllte ihm ins Gesicht, nannte ihn einen dreckigen
kommunistischen Himmelsstraßen-Verräter, während Xiao
Bing, die Nerven am Ende, herumsprang und sie beide bat,
aufzuhören.
    Und über allem lag ein anschwellendes Gebrüll, lauter
als das Gebrüll in Lees Kopf. Jäh blies Staub gleichzeitig
in alle Richtungen; ein Schatten überquerte die Sonne. Guoquiang
blickte auf; ebenso Lee. Der schwarze Bauch einer Friedenstaube fiel
auf sie zu. Die Sprachrohr-des-Volkes-Armee hatte schließlich
das zerschellte Raumschiff gefunden.

 
     

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6
     

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    Ein Tiefdruckgebiet war von Nordwesten hereingeschwenkt. Es lenkte
die konstanten Winde vom Großen Tal ab, die gewöhnlich das
Wettersystem in der Region beherrschten, brachte eisige Luft von den
trockenen nördlich Ebenen heran und etablierte das, was die
Menschen des Danwei von Bitterwasser einen Zehntägigen
Wind nannten.
    Die Friedenstauben der Sprachrohr-des-Volkes-Armee wurden vom
Staub am Boden gehalten. Die Truppen hausten in der halb zerfallenen
Freizeithalle Nummer Drei des Danwei; die Anarchisten-Pilotin
wurde in der einzigen Gefängniszelle eingekerkert, wo sie einer
Behandlung ihrer Verletzungen unterzogen wurde. Niemand im Danwei oder in der Suchabteilung der Armee war ranghoch genug, sie zu
verhören, also mußte sie am Leben gehalten werden, bis
sich der Sturm erschöpft hatte und sie zur Hauptstadt geflogen
werden konnte.
    Mittlerweile trieb der Wind schwellende Staublaken über die
weiten Felder oder den zerfransten Zwergweizen und um die Kuppeln
herum über die Reisfelder. Staub legte sich über die
Bewässerungskanäle und verwandelte den Tag in ein
beständig glühendes Zwielicht. Das Solarstromkraftwerk,
eine Pagode mit Facetten aus schwarzem Glas inmitten des Danwei, wurde geschlossen. Die Versorgung der Schlafräume und der
Module für die Räumlichkeiten mit Elektrizität wurde
auf drei Stunden am Abend rationiert.
    Und der Wind selbst schlug gegen die miteinander verbundenen
Strukturen des Danwei selbst, er heulte, klapperte und
sprühte Sand durch jede Ritze. Roter Staub wirbelte in
Säulen aus Licht, bedeckte jede Oberfläche mit einer
griesigen Patina, arbeitete sich zwischen Laken hindurch, setzte sich
mit jedem Bissen Nahrung zwischen den Zähnen ab. Jede
Berührung von Metall zog einen Stich statischer
Elektrizität nach sich; trockene, ionisierte Luft ließ
Lippen aufspringen, nutzte die Gemüter bis zur
Rasiermesserschärfe ab.
    Der eisenreiche Staub schwächte gleichfalls den Radioempfang.
Die Stimme des ›King of the Cats‹ klang schwach und weit
entfernt hinter einem wirbelnden Sturm von Statik. Der King predigte,
etwas über die Macht des Rock ’n’ Roll, der mit
Lichtgeschwindigkeit durch das Universum brannte, oder über das
Leben. Wegen der Statik und Xiao Bings nervösem Geplapper bekam
Wei Lee lediglich Fetzen vom Sermon des Kings mit.
    Die beiden Kader gingen allein einen der Tunnel entlang, welche
die Module des Danwei miteinander verbanden. Es war Nacht.
Jenseits der durchsichtigen Kunststoffwände des Tunnels wirbelte
unablässig Staub vorüber, und verschwommene Massen waren
vage in dem schwachen Lichtstreifen zu beiden Seiten des

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