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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Mönchen der verschollenen Lamaserie
gefangengenommen worden wären, hätten sie ihre Mission
womöglich bereits beendet.
    »Oder vielleicht auch nicht«, sagte der King
fröhlich. »Jetzt habt ihr die Hilfe dessen, was von unseren
anderen Agenten übriggeblieben ist. Schließlich werden sie
nützlich.«
    Miriam war über die geschwungene durchsichtige Wand der Blase
getrieben, hatte sich mit den Spitzen der gespreizten Finger daran
festgehalten und den litzenbesetzten Fluß aus Wassereisfelsen
beobachtet, der auf ewig durch seinen Orbit fiel. Sie sagte:
»Ich bin der erste Agent, der von den Anarchisten herabgeschickt
worden ist, aber ich werde vielleicht der letzte sein. Viele andere
haben fehlgeschlagen; ein paar überleben auf fragmentarische
Weise, als Virusinfektionen in den Nachfolgern ihrer Kontakte. Wie
ich in dir überlebe.«
    »Sie sind Götter geworden«, sagte der King.
    »Nein«, sagte Miriam, »oder sonst bin ich einer
geworden. Und ich bin um so vieles weniger als das, was ich einmal
gewesen bin…«
    »Wer kann das sagen, Babe«, sagte der King.
»Schließlich wandelst du in dem Jungen, wie die
Götter in ihren Avataras wandeln. Oh, ich habe dabei
nachgeholfen, aber unterschätze dich nicht.« Er richtete
sein verzerrtes Lächeln auf Lee. »Du weißt, was du zu
tun hast, Junge?«
    »Ich weiß, wozu du mich bringen willst, es zu tun. Ich
weiß nicht, wie. Bitte, kannst du mir sagen, wie ich es tun
muß?«
    »Das ist der schwierigere Teil«, sagte der King.
»Er ist schwierig, weil es an dir liegt, Junge. Du mußt
verstehen, daß der irdische Konsens mich simulieren kann. Er
kann jede Strategie voraussehen, die ich mir ausdenken kann. Ich
könnte die Wahl randomisieren…« – er wirbelte
eine dicke Silbermünze durch die Luft, die in der gleichen
Richtung verschwand, die der Lichtsäbel genommen hatte –,
»aber ich wüßte nicht, ob die Conchies
Möglichkeiten für alles erdacht haben. Es ist möglich.
Aber du bist eine unbekannte Variable, Junge. Deswegen haben wir dich
gewählt.«
    »Und deine Eltern«, sagte Miriam.
    »Das braucht er nicht zu wissen«, sagte Elvis.
    Lee sah den King an, Miriam. Er verspürte eine weite, tiefe,
drängende Traurigkeit.
    Er sagte: »Mein Urgroßvater hat meine Eltern umbringen
lassen. Warum hat er das getan? Was will er von mir?«
    »Du glaubst noch immer, es wäre ein Zufall gewesen,
daß ich dort gelandet bin, wo ich gelandet bin?« sagte
Miriam. »Es war, weil du dort warst, Lee. Du bist eine
Verbindung zwischen uns und deinem Urgroßvater, Teil eines lang
bestehenden Abkommens, aber du bist auch etwas anderes. Etwas, wovon
dein Urgroßvater nichts weiß. Deine
Mutter…«
    »Er hat meine Mutter getötet! Meine Mutter und meinen
Vater! Er hat sie erschießen lassen…« Lee vermochte
nicht mehr, klar zu sehen. Er weinte. In der Mikroschwerkraft
bildeten seine Tränen fette Bläschen, die an seinen
Augenlidern klebten.
    Der King sagte zu Miriam: »Sei still, jetzt. Du wirst die
Zufallsvariablen zerstören, wenn er zuviel weiß.«
    »Dann laß mich sterben«, erwiderte Miriam mit
dünner Stimme.
    »Nein«, sagte der King. »Hör mir zu, Wei Lee.
Du wirst dieses kleine Mädchen mitnehmen. Chen Yao? Du wirst sie
mit dir mitnehmen, jetzt. Sie ist der Avatar von etwas, dessen
Kräfte du brauchen wirst. Du wirst jetzt aufwachen, aber du
wirst dich erinnern. An all dies erinnern.«
    »Warte!« sagte Miriam. »Wenn ich nicht sterben
kann, muß ich mit ihm aufwachen. Was ich habe, ist schlimmer
als der Tod. Ich brauche mehr als Blitzlichter,
Fragmente…«
    »Es wird besser werden«, sagte der ›King of the
Cats‹. »Jetzt wach auf, Lee.«
    »Nein! Warte! Sag mir, weshalb meine Eltern getötet
worden sind! Sag mir, was ihnen zugestoßen ist, als sie
Botschafter der Anarchisten waren. Sag mir…«
    »Die Zeit ist abgelaufen! Wach auf!«

 
     

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38
     

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    Lee schreckte aus dem Schlaf und fiel fast aus dem Nest von Kissen
heraus, das er auf dem thronähnlichen Stuhl gebaut hatte. Er
merkte, daß er die Schutzbrille trug und streifte sie ab.
Schwaches Morgenlicht strömte durch die schmalen Fenster der
Kapelle und dämpfte das vielfache Flackern der
Butterlampen-Flammen.
    Die Vision setzte sich in ihm, jede Einzelheit lebendig aufrufbar.
Schließlich befand er sich nicht an der Peripherie irgendeines
Hinterhalts seines Urgroßvaters: er stand im Zentrum von etwas
derart Weitem, daß er, trotz Miriams langer und wirrer
Erklärungen, spürte, er hatte erst

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