Roter Zar
hatte es auch nicht verdient«, antwortete Grodek. »Aber ich gebe Ihnen keine Schuld, Pekkala. Ich habe Sie nie als meinen Feind angesehen. Vom Tag auf der Brücke bis jetzt haben wir uns beide auf einem Weg befunden, den wir uns nicht ausgesucht haben. Und diese Wege kreuzen sich jetzt hier. Das haben Sie Ihrem Bruder zu verdanken. Er hat mich kontaktiert, als der verrückte Fotograf meinte, er müsste sein Gewissen erleichtern. Ich wollte ihn damals schon töten, aber der Zar hat darauf bestanden, ihn am Leben zu lassen. Und als Stalin Sie auf diesen Fall angesetzt hat, dachte ich, dass wir vielleicht doch noch eine Chance haben, an das Gold zu kommen. Hätte ich gewusst, dass es sich gar nicht um Gold handelt, hätte ich es vielleicht schon früher gefunden.«
»Sie werden den Schatz nicht bekommen«, sagte Pekkala. »Ich weiß, Sie haben Angst davor, in den Schacht zu steigen.«
»Da haben Sie recht«, sagte Grodek. »Aber Sie werden die Diamanten in Ihrem Lederbeutel ans Seil hängen, und ich muss es dann nur noch hochziehen.«
»Und warum sollte ich das tun?«, fragte Pekkala.
»Weil ich dann in den Wagen steige und wegfahre und Sie mich nie mehr wiedersehen. Sollten Sie es aber nicht tun, werde ich in die Stadt fahren und zu Ende bringen, was ich mit Ihrem Bruder schon begonnen habe. Ich werde auch diesen Kommissar nicht verschonen. Ich will das alles nicht, Pekkala. Sie glauben, das Blut der Romanows klebt an Ihren Händen, in Wahrheit aber haben sie sich alles selbst zuzuschreiben. Das Gleiche gilt für Ihren Bruder. Auch er hat sich das alles selbst eingebrockt. Trotzdem hat er es nicht verdient zu sterben. Er hat Ihnen geglaubt, als Sie sagten, Sie wüssten nicht, wo der Zarenschatz versteckt ist. Aber ich habe gewusst, dass Sie ihn früher oder später finden, und ich hatte recht damit. Also musste ich ihm drohen. Ich habe ihn damals verprügelt, als er grün und blau aus der Schänke zurückkam. Als ich die Idee hatte, in die Rolle von Alexej zu schlüpfen, meinte er, das würde er nicht durchstehen. Also habe ich ihm gesagt, dass ich Sie töte, wenn er meinen Namen auch nur erwähnt. Er hat gewusst, dass ich es ernst meine, also hat er den Mund gehalten. Und als Sie dann selbst darauf gekommen sind, dass ich auf freiem Fuß bin, wollte er Sie warnen. Also musste ich ihn zum Schweigen bringen. Er hat Ihnen das Leben gerettet, Pekkala. Jetzt retten Sie seines, das ist das Mindeste, was Sie für ihn tun können.«
»Wenn ich Ihnen die Diamanten gebe«, rief Pekkala, »was dann? Dann lassen Sie mich hier unten verrotten?«
»Man wird Sie finden, Pekkala. Wenn Sie nicht in einer Stunde zurück sind, wird der Kommissar nach der Botschaft in dem Buch suchen. Er wird Sie hier rausholen, bevor die Nacht anbricht. Aber nur, wenn Sie sich beeilen. Fünf Minuten, Pekkala, mehr gebe ich Ihnen nicht. Wenn ich bis dahin nicht die Diamanten habe, werden Sie zwischen den Leichen Ihrer ehemaligen Dienstherren sterben. Wenn Ihr Bruder und Kirow tot sind, wer in Swerdlowsk soll Sie dann noch finden? Bis irgendjemand dahinterkommt, wird man hier nur noch eine weitere Leiche finden.«
»Woher soll ich wissen, dass Sie Ihr Wort halten?«
»Das können Sie nicht wissen«, erwiderte Grodek. »Aber wenn Sie mir die Diamanten geben, Pekkala, habe ich alles, was ich will, und dann werde ich so schnell wie möglich verschwinden. Und jetzt beeilen Sie sich! Ihre Zeit läuft ab.«
Pekkala wusste, dass ihm nichts anderes übrigblieb, als Grodeks Anweisungen zu folgen.
Er tastete den Boden ab, bis er seinen Beutel gefunden hatte, schlug ihn auf, zog die Taschenlampe heraus und knipste sie an.
Die mumifizierten, zerschlagenen Gesichter der Romanows, die genauso dalagen, wie er sie zurückgelassen hatte, zeichneten sich in der Dunkelheit ab. Nur die metallenen oder beinernen Knöpfe reflektierten das Licht der Taschenlampe.
Auf allen vieren näherte er sich dem Leichnam des Zaren, packte den Uniformrock und zerrte am Stoff. Er ließ sich leicht zerreißen, eine feine Staubwolke stieg auf. Darunter trug der Tote eine Weste aus schwerer weißer Baumwolle, die Pekkala an die Schutzwesten von Fechtern erinnerte. Sie war mit feingestickten Nahtreihen überzogen, und zwischen den Nähten erkannte er die unscheinbaren Erhebungen, die auf die eingenähten Juwelen hinwiesen. Da die Weste nicht mit Knöpfen geschlossen, sondern geschnürt war, musste Pekkala einfach an den Schnüren ziehen, bis sie aufsprangen. Dann drehte er den
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