Roter Zar
auf. »Ich bin mir nicht sicher, ob der Feldwebel das so beabsichtigt hat.«
»Exzellenz, ich werde diesem Pferd nicht weitere Wunden zufügen, nur um zu beweisen, dass ich dazu in der Lage bin.«
Der Zar atmete tief ein, als bereitete er sich darauf vor, gleich unter Wasser zu tauchen. »Dann bedauere ich, dass er sich damit in einem Dilemma befindet.« Ohne ein weiteres Wort schritt der Zar daraufhin an Pekkala und den aufgereihten Pferden und ihren strammstehenden Reitern vorbei. Nur seine Schritte waren zu hören.
Als der Zar ihnen den Rücken zuwandte, hob der Feldwebel den Kopf und sah Pekkala in die Augen. In seinem Blick lag der pure Hass.
Am Hindernis blieb der Zar kurz stehen und betrachtete den blutverschmierten Stacheldraht.
An der gegenüberliegenden Seite der Reithalle machte er auf dem Absatz kehrt und wandte sich wieder den Soldaten zu. »Diese Übung ist beendet«, sagte er. Damit trat er in den Schatten und war verschwunden.
Sobald der Zar außer Sichtweite war, ging der Feldwebel auf Pekkala los. »Du weißt, was damit ebenfalls beendet ist? Deine Zugehörigkeit zu diesem Regiment. Zurück in den Stall, Pferd bürsten, Sattel säubern, und dann raus!«
Pekkala führte sein Pferd fort, und die schrillen Befehle des Feldwebels an die Adresse der anderen Kadetten dröhnten durch die Halle.
Das Pferd ließ sich anstandslos in seine Box führen, wo Pekkala den Sattel loszurrte und das Zaumzeug löste. Er bürstete das unter seinem seidenbraunen Fell noch immer zitternde Pferd und trat dann hinaus, um einen Eimer Wasser und ein Tuch zu holen, damit er die verletzten Vorderläufe verbinden konnte. Im Tor zum Kasernenhof fiel ihm die Silhouette eines Mannes auf.
Es war der Zar. Er war zurückgekehrt. Oder war vielleicht auch nie gegangen.
Pekkala konnte außer dem schwarzen Umriss nichts erkennen – fast so, als wäre der Zar wieder in seiner zweidimensionalen Gestalt aufgetaucht, wie ihn sich Pekkala früher immer vorgestellt hatte.
»Dein Verhalten wird dich teuer zu stehen kommen«, sagte der Zar. »Der Feldwebel wird dich aus dem Regiment werfen.«
»Ja, Exzellenz.«
»An deiner Stelle hätte ich mich ebenfalls geweigert«, sagte der Zar. »Leider ist es nicht meine Aufgabe, die Ausbildungsmethoden zu hinterfragen. Würdest du dein Pferd über das Hindernis zwingen, wenn es erneut von dir verlangt würde?«
»Nein, Exzellenz.«
»Aber du würdest selbst hinüberspringen?«
»Ja.«
Der Zar räusperte sich. »Ich freue mich schon darauf, die Geschichte zum Besten zu geben. Wie lautet dein Name, Kadett?«
»Pekkala.«
»Ach, ja. Du bist hier, um den Platz deines Bruders einzunehmen. Ich habe deine Akte gelesen. Es wurde bemerkt, dass du ein ausgezeichnetes Gedächtnis hast.«
»Das wurde mir in die Wiege gelegt, Exzellenz. Ich kann nichts dafür.«
»Dennoch wurde es bemerkt. Gut, Pekkala, ich bedauere, dass unsere Bekanntschaft nur von so kurzer Dauer ist.« Er drehte sich um. Das Sonnenlicht glänzte auf den Knöpfen seines Uniformrocks.
Doch statt zu gehen, kehrte er um und tauchte wieder in die Dunkelheit des Stalls ein. »Pekkala?«
»Ja, Exzellenz?«
»Wie viele Knöpfe hat meine Uniform?«
»Zwölf, Exzellenz.«
»Zwölf. Gut geraten, aber …« Der Zar beendete den Satz nicht. Die Silhouette bewegte sich, als er enttäuscht den Kopf senkte. »Gut, auf Wiedersehen, Kadett Pekkala.«
»Ich habe nicht geraten, Exzellenz. Ihre Uniform hat zwölf Knöpfe, die Manschettenknöpfe eingeschlossen.«
Der Kopf des Zaren fuhr hoch. »Großer Gott, du hast recht! Und was ist auf diesen Knöpfen, Pekkala? Welches Wappen siehst du?«
»Keines, Exzellenz. Die Knöpfe sind nicht verziert.«
»Ha!« Der Zar trat ganz in den Stall. »Wieder richtig!«, sagte er.
Die beiden Männer standen sich jetzt auf Armeslänge gegenüber.
Pekkala bemerkte etwas in der Miene des Zaren, das ihm vertraut vorkam – eine Art trotzige Resignation, die so tief in ihm verankert war, dass sie zu einem beständigen Merkmal geworden war wie die Farbe seiner Augen. Und dann wurde Pekkala bewusst, dass sich der Zar – wie er selbst – auf einem Weg befand, den er sich nicht selbst ausgesucht hatte, den er aber gelernt hatte, für sich zu akzeptieren. Als er das Gesicht des Monarchen betrachtete, war Pekkala, als betrachte er seine eigene Zukunft.
Der Zar schien diese Verbindung ebenfalls zu sehen. Kurz wirkte er verwirrt, gewann aber schnell seine Fassung wieder. »Und mein Ring?«, fragte er.
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