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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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hindurchschneidet – und das wirst auch du lernen müssen, wenn du als Ermittler überleben willst.«
    Wassilejew stellte Pekkala gern auf die Probe, schickte ihn in die Stadt, um dort eine bestimmte Strecke abzugehen. Zuvor jedoch hatte er bereits Leute vorausgeschickt, die sich die Sprüche auf den Reklametafeln an den Hauswänden notierten oder die Schlagzeilen der Zeitungen, die an den Straßenecken von Jungen mit Schlapphüten verkauft wurden. Keine Einzelheit war zu gering, um nicht aufgezeichnet zu werden.
    Wenn Pekkala zurückkehrte, fragte Wassilejew ihn über alles aus, was er gesehen hatte. Es ging darum, erklärte Wassilejew, dass es auf einer solchen Strecke viel zu viel gab, um sich alles zu merken, vor allem dann, wenn man nicht wusste, wonach man Ausschau halten sollte. Zweck der Übung war es, Pekkalas Gedächtnis zu trainieren, das alles katalogisierte, damit das Unbewusste die Informationen dann filtern konnte.
    Irgendwann, erklärte Wassilejew, würde er in der Lage sein, sich ganz und gar auf seine Intuition zu verlassen, die ihm sagte, wenn etwas nicht stimmte.
    Dann wurde Pekkala darin unterwiesen, wie er sich einer drohenden Gefangennahme entziehen konnte, indem er sich verkleidet durch die Stadt bewegte, während andere Agenten nach ihm Ausschau hielten. Er lernte, wie er sich als Droschkenkutscher, als Priester oder als Schankwirt zu verhalten hatte.
    Er lernte den Umgang mit Giften, das Entschärfen von Sprengsätzen, den tödlichen Einsatz von Messern.
    Neben der Ausbildung an den verschiedenen Waffen, die er allesamt blind zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen hatte, brachte Wassilejew ihm auch bei, die verschiedenen Kaliber, ja sogar die verschiedenen Modelle gleichen Kalibers einzig nach ihrem Klang zu unterscheiden.
    Pekkala saß auf einem Stuhl, während Wassilejew, ebenfalls auf einem Stuhl sitzend, hinter einer Ziegelwand die Waffen abfeuerte und Pekkala aufforderte, sie zu identifizieren. Bei diesen Übungseinheiten hatte Wassilejew nur selten keine Zigarette zwischen die Holzfinger geklemmt, und Pekkala achtete immer auf den dünnen grauen Rauchfaden, der über der Wand aufstieg und sich kurz kräuselte, wenn Wassilejew auf die Zigarette biss, kurz bevor er den Abzug durchdrückte.
    Zu Beginn des dritten Ausbildungsjahres wurde Pekkala in Wassilejews Büro gerufen. Das künstliche Bein lag auf dem Schreibtisch. Wassilejew hatte damit begonnen, mit einem Stemmeisen einen Teil der Holzprothese auszuhöhlen.
    »Was machen Sie da?«, fragte Pekkala.
    »Na, man weiß ja nicht, wann man ein Versteck für Wertsachen braucht. Außerdem ist das verdammte Ding zu schwer für mich.« Wassilejew legte das Stemmeisen ab und sammelte die Späne ein. »Weißt du, warum der Zar dich für diese Aufgabe ausgewählt hat?«
    »Ich habe ihn nie gefragt«, erwiderte Pekkala.
    »Er hat mir gesagt, du hättest das, was einem vollkommenen Gedächtnis nahekommt. Und außerdem, weil du ein Finne bist. Für uns Russen haben die Finnen etwas Unmenschliches an sich.«
    »Etwas Unmenschliches?«
    »Sie sind Zauberer, Hexen, Magier«, erklärte Wassilejew. »Weißt du, wie viele Russen immer noch glauben, Finnen könnten einen verzaubern? Deshalb umgibt er sich mit einem finnischen Garderegiment. Und deshalb hat er dich auserwählt. Aber du und ich, wir beide wissen, dass du kein Magier bist.«
    »Das habe ich nie behauptet«, sagte Pekkala.
    »Trotzdem«, erwiderte Wassilejew, »wirst du als ein solcher gesehen, sogar vom Zaren. Du darfst nie den Unterschied vergessen zwischen dem, der du bist, und dem, für den du gehalten wirst. Der Zar braucht dich mehr, als ihm selbst bewusst ist. Dunkle Zeiten kommen auf uns zu, Pekkala. Damals, als ich in die Luft gesprengt wurde, haben die Gauner noch Geld aus den Banken gestohlen. Jetzt haben sie gelernt, wie man die ganze Bank stiehlt. Es wird nicht mehr lange dauern, und sie übernehmen die Herrschaft über das ganze Land. Wenn wir es so weit kommen lassen, Pekkala, werden wir eines Tages aufwachen und feststellen, dass wir die Verbrecher sind. Und dann wirst du alles brauchen, was ich dir beigebracht habe, um am Leben zu bleiben.«

A m nächsten Morgen, als rote Lichtstreifen über dem fahlen Horizont aufzogen, stiegen Pekkala, Kirow und Anton in den Emka-Stabswagen.
    Die Häuser waren noch alle verschlossen, von den Bewohnern war nichts zu sehen. Die zugezogenen Fensterläden verliehen den Gebäuden etwas Verschlafenes, aber auch Bedrohliches, so dass sich alle

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