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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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»Hast du zufällig bemerkt …?«
    »Ein Vogel mit langem Hals. Ein Schwan vielleicht.«
    »Ein Kranich«, murmelte der Zar. »Dieser Ring hat einmal meinem Großvater gehört, Christian dem Neunten von Dänemark. Der Kranich war sein Signet.«
    »Warum stellen Sie mir diese Fragen, Exzellenz?«
    »Weil ich glaube«, erwiderte der Zar, »dass dein Schicksal doch mit unserem verbunden ist.«

A nton starrte wieder ins Feuer. »Mein Bruder hat alles aufgegeben, alles, was er hatte, und doch hat er etwas für sich behalten.«
    »Was soll das heißen?«, fragte Kirow.
    »Gerüchten zufolge ist er der letzte Überlebende, der weiß, wo sich der Goldschatz des Zaren befindet.«
    »Das ist kein Gerücht«, sagte Pekkala, »sondern ein Märchen.«
    »Welcher Goldschatz?«, fragte Kirow und schien noch verwirrter als zuvor. »Ich habe in der Schule gelernt, dass das gesamte Vermögen des Zaren eingezogen wurde.«
    »Nur, dessen man habhaft werden konnte«, sagte Anton.
    »Von wie viel Gold sprechen wir denn?«
    »Das weiß keiner genau«, erwiderte Anton. »Manche sagen, es wären mehr als zehntausend Barren.«
    Kirow drehte sich zu Pekkala hin. »Und Sie wissen, wo es ist?«
    Pekkala schaukelte wütend auf seinem Stuhl vor und zurück. »Sie können glauben, was Sie wollen, aber ich sage die Wahrheit. Ich weiß nicht, wo es ist.«
    »Gut«, sagte Kirow, bemüht um einen autoritären Ton. »Ich bin nicht hier, um die Suche nach dem Goldschatz zu beaufsichtigen. Ich soll dafür sorgen, dass Sie, Inspektor Pekkala, sich ans Protokoll halten.«
    »Protokoll?«
    »Ja, und wenn Sie es nicht tun, bin ich ermächtigt, tödliche Gewalt anzuwenden.«
    »Tödliche Gewalt«, wiederholte Pekkala. »Haben Sie schon mal jemanden erschossen?«
    »Nein«, erwiderte Kirow. »Aber ich habe auf dem Schießstand geübt.«
    »Auf dem Schießstand? Und woraus waren die Zielscheiben?«
    »Keine Ahnung«, blaffte er. »Aus Pappe, nehme ich an.«
    »Wenn das Ziel aus Fleisch und Blut ist, gestaltet es sich nicht so einfach.« Pekkala schob dem jungen Kommissar den Bericht über den Tisch. »Lesen Sie das, und wenn Ihnen dann immer noch danach zumute ist, mich zu erschießen« – er griff in seinen Mantel, zog den Webley-Revolver heraus und legte ihn vor Kirow auf den Schreibtisch –, »dann können Sie den dafür nehmen.«

Auf Befehl des Zaren trat Pekkala der Petrograder Polizei bei, wechselte später zu der als Gendarmerie bekannten Staatspolizei, bevor er bei der Ochrana landete, deren Büros in der Fontanka-Straße lagen.
    Dort diente er unter Major Wassilejew, einem leutseligen Mann mit rundem Gesicht, der zehn Jahre zuvor bei einem Bombenanschlag den rechten Arm unterhalb des Ellbogens und das linke Bein unterhalb des Knies verloren hatte.
    Wassilejew ging nicht, sondern torkelte eher und schien immer Gefahr zu laufen, der Länge nach hinzuschlagen, bevor er sich wieder fing. Saß er in seinem Büro, verursachte ihm seine Prothese große Schmerzen im Beinstumpf. Pekkala gewöhnte sich bald an den Anblick des künstlichen Beins, das, mit einer Socke und einem Schuh bekleidet, neben Wassilejews Gehstock und Regenschirm an der Wand lehnte. Seine künstliche rechte Hand war aus Holz und mit Messingscharnieren versehen, die er mit der linken Hand justieren musste, bevor er sie gebrauchen konnte – in erster Linie hatte er darin seine Zigaretten eingeklemmt. Die Marke, die er rauchte, nannte sich Markow. Sie steckten in einer rot-goldenen Packung, und Wassilejew bewahrte immer eine ganze Stange davon hinter seinem Schreibtisch auf.
    Ebenfalls an der Wand hinter Wassilejews Schreibtisch befand sich in einem schwarzen Kasten ein halb aufgeklapptes Rasiermesser, so dass es ein V bildete.
    »Das ist Ockhams Rasiermesser«, erklärte Wassilejew.
    Pekkala musste zugeben, dass er von Ockham, den er für einen von Wassilejew hinter Gitter gebrachten großen Verbrecher hielt, nie gehört hatte.
    Wassilejew lachte, als er das hörte. »Es ist nicht wirklich Ockhams Rasiermesser. Das Messer steht nur für eine gewisse Idee.« Als er Pekkalas verdutzte Miene bemerkte, fuhr er fort: »Im Mittelalter formulierte ein Franziskanermönch namens Wilhelm von Ockham eines der Grundprinzipien der Ermittlungsarbeit, nämlich dass die einfachste Erklärung, die zu den Tatsachen passt, meistens auch die richtige ist.«
    »Aber warum heißt es Ockhams Rasiermesser?«, fragte Pekkala.
    »Keine Ahnung«, antwortete Wassilejew. »Vielleicht, weil es direkt zur Wahrheit

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