Roter Zar

drei Männer beobachtet fühlten.
    Kirow setzte sich hinters Steuer. Er war die halbe Nacht wach geblieben und hatte den Geheimbericht gelesen, jetzt schien er unter einer Art Schock zu stehen.
    Pekkala hatte beschlossen, direkt zum Bergwerksschacht zu fahren, wo die Leichen liegen sollten. Laut Anton, der den Ort auf einer Karte eingetragen hatte, lag der Schacht in der Nähe von Swerdlowsk, von ihrem jetzigen Standort eine etwa zweitägige Autofahrt entfernt.
    Kurz nach ihrem Aufbruch kam am Dorfrand ein Mann aus einem verlassenen Haus getorkelt. Es war der Polizist. Seine Uniform war völlig verdreckt.
    Der Emka kam zum Stehen.
    Der Polizist stand im knöcheltiefen Morast mitten auf der Straße. Er war betrunken und bewegte sich wie ein Seemann an Deck eines Schiffes auf rauher See. »Mir egal, ob er das Smaragdauge ist oder nicht!«, schrie er. »Ihr nehmt mich mit.« Er stolperte zum Wagen, zog seinen Dienstrevolver und klopfte mit dem Lauf gegen die Scheibe.
    »Alle raus«, sagte Anton leise.
    Die drei Männer traten auf die schlammige Straße.
    »Wir müssen von hier fort«, schrie der Polizist. »Die ganze Stadt glaubt, Pekkala würde gegen mich ermitteln!« Er zielte auf die Dächer der Häuser. »Aber so lange werden sie nicht warten.«
    »Wir haben Wichtigeres zu tun, als gegen dich zu ermitteln«, sagte Anton, ohne die Waffe aus den Augen zu lassen.
    »Spielt keine Rolle mehr!«, sagte er Polizist. »Die Einwohner zerfleischen mich, wenn ich mich in der Dienststelle wieder blicken lasse.«
    »Das hättest du dir früher überlegen sollen«, sagte Anton, »bevor du alten Männern die Zähne ausschlägst. Deine Pflicht erfordert es, auf deinem Posten zu bleiben. Jetzt geh vom Wagen weg und mach dich an deine Arbeit.«
    »Ich kann nicht.« Er hatte den Finger um den Abzug gelegt – eine ungeschickte Bewegung von ihm, und die Waffe ging los. In seiner Verfassung musste man jederzeit damit rechnen, dass sich unabsichtlich ein Schuss löste. »Ihr lasst mich nicht hier!«
    »Ich werde dir doch nicht beim Desertieren helfen«, erwiderte Anton.
    »Ich desertiere nicht!«, rief er mit dünner Stimme. »Ich könnte doch mit Verstärkung zurückkommen.«
    »Ich kann dir nicht helfen«, sagte Anton. »Wir haben anderes zu tun.«
    »Das ist alles deine Schuld. Du hast dieses Gespenst aufgegabelt« – er riss den Kopf in Richtung Pekkala – »und damit Dinge aufgerührt, die man besser in Ruhe gelassen hätte.«
    »Kehr auf deinen Posten zurück«, sagte Anton. »Du wirst nicht mitkommen.«
    Der Polizist zitterte, als würde der Boden unter seinen Füßen nachgeben. Plötzlich schwang sein Arm vor.
    Und Anton starrte in das blaue Auge eines Revolverlaufs. Er hatte sich sein Holster umgeschnallt, wusste aber, dass er die Waffe nie rechtzeitig erreichen konnte. Reglos stand er vor dem betrunkenen Polizisten.
    »Nur zu«, sagte der Polizist. »Gib mir einen Grund zum Abdrücken.«
    In diesem Moment griff Kirow nach seiner Waffe, die Tokarew rutschte ihm aber noch im gleichen Augenblick aus der Hand und fiel in hohem Bogen in den Schlamm. Bestürzt starrte er zu den anderen.
    Der Polizist hatte es noch nicht einmal bemerkt. Seine Waffe war immer noch auf Anton gerichtet. »Los, mach schon«, sagte er. »Ich werde dich so oder so erschießen, also …«
    Ein Knall zerriss die Luft.
    Kirow schrie auf.
    Verwirrt sah Anton den Polizisten auf die Knie gehen. Über seinen Hals zog sich eine klaffende weiße Wunde, aus der sich sofort ein roter Blutschwall ergoss. Langsam hob der Polizist noch die Hand und presste sie gegen die Wunde, das Blut pulsierte zwischen seinen Fingern hervor, dann blinzelte er, als versuchte er klar zu sehen, bevor er nach vorn in eine Pfütze fiel.
    Anton sah zu seinem Bruder.
    Pekkala ließ den Webley sinken, von dessen Trommel noch Rauch aufstieg, dann schob er ihn in das Holster unter seinem Mantel.
    Kirow hob seine Waffe aus dem Schlamm auf, versuchte den Dreck wegzuwischen, seine Hände aber zitterten so sehr, dass er es schließlich aufgab. Er sah von Anton zu Pekkala. »Tut mir leid«, sagte er. Daraufhin eilte er an den Straßenrand und übergab sich in die dort stehenden Büsche.
    Der Motor der Emka lief noch, aus dem Auspuff kamen Abgasschwaden.
    »Fahren wir.« Mit einer Handbewegung wies Anton sie an, einzusteigen.
    »Wir sollten einen Bericht anfertigen«, sagte Pekkala.
    »Es ist nie geschehen«, sagte Anton. Ohne Pekkala in die Augen zu sehen, ging er an ihm vorbei und stieg