Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Bassin lief. An dessen Ende saß auf einem Gartenstuhl ein Mann, vielleicht 60 Jahre alt, mit schlohweißer, dichter Löwenmähne und einem Fächer in der Hand. Er trug eine Anzughose und ein blütenweißes Baumwollhemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren. Gallo ging auf den Mann zu und signalisierte Kieffer, ihm zu folgen.
Der Fremde war aufgestanden und reichte dem Raís die Hand. Dieser nahm sie und neigte tief den Kopf, während er sie schüttelte. Die Geste hatte in Kieffers Augen etwas Serviles, sie schien ihm fast unterwürfig. Gallosprach nun mit dem Mann in einem seltsamen Dialekt, zeigte dabei mehrfach auf Kieffer. Die einzigen Worte, die der Koch zu verstehen glaubte, waren »tonno« und »Trebarca Silva«. Der Raís wandte sich wieder an ihn und sagte:
»Darf ich Ihnen Herrn Avvocato Carrone vorstellen?«
Kieffer schüttelte dem Mann die Hand. »Herr Anwalt, es freut mich, Sie kennenzulernen.«
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Bitte setzen Sie sich.« Der Avvocato sprach Englisch, das jedoch anders als Gallos nicht von sizilianischem Patois durchsetzt war. Seine Aussprache war makellos, die eines Muttersprachlers mit amerikanischem Akzent. »Darf ich Ihnen eine Limonade anbieten? Aus unseren eigenen Bitterorangen hier im Garten. Es gibt kaum etwas Besseres gegen die Hitze des frühen Nachmittags.«
Sie setzten sich an den Gartentisch, und Carrone schenkte ihnen eigenhändig geeiste Limonade ein. Dann lehnte er sich zurück und sagte: »Unser beider Freund, der Raís, hat mir von Ihrem Problem erzählt. Arbeiten Sie für die EU – Fischereibehörde?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Eigentlich bin ich Koch.«
Offenbar war die Frage ein Test gewesen, denn Carrone sagte nun: »Ja, wie ich gehört habe, betreiben Sie in Luxemburg ein Restaurant und waren früher einmal Sternekoch. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber mir ist noch unklar, was genau Ihr Interesse an dieser Sache ist.«
Kieffer merkte, wie ihm etwas flau in der Magengrube wurde. Er beschloss, dem Anwalt eine ähnliche Geschichte zu erzählen wie bereits Trebarca Silva: »Icharbeite außerdem als Gastroconsultant. Mehrere meiner Kunden betreiben Sushirestaurants, und sie haben Zweifel an der Qualität des Roten Thuns, den sie von Silvas Firma Pombal Foods bekommen. Da es um beträchtliche Summen geht, haben sie mich geschickt, die Sache zu überprüfen.«
»Ich verstehe – und bei Ihren Ermittlungen sind Sie auf den Umstand gestoßen, dass dieser Trebarca Silva vor unserer Küste eine neuartige Zuchtanlage für Thunfisch betreibt, ist das korrekt?«
»Ja, Herr Carrone. Er besaß auch Ranches vor der spanischen Küste, deren Betrieb offenbar gegen Recht und Gesetz verstieß. Was er dort draußen auf der Isoletta tut … man hat mir erklärt, dort gelte Seerecht.«
Der Avvocato nickte. »Sie sind ganz richtig informiert. Trotzdem könnte es gegen gewisse Gesetze verstoßen, gegen die Usancen des hiesigen Thunhandels sowieso.«
»Wie ist das zu verstehen?«
»Thunfisch ist Siziliens ältestes Gewerbe. Älter noch als das andere.« Er lachte. »Wussten Sie, dass der klamme spanische König Mitte des 17. Jahrhunderts eine Tonnara und einen Baronstitel an eine reiche Patrizierfamilie verkaufen musste? Der Titel war nur eine Dreingabe. Die Patrizier zahlten für die Tonnara von Tràpani 60000 Scudi – mehr als die jährlichen Steuereinnahmen der Spanischen Krone. Natürlich haben sich die Zeiten geändert, die Japaner sind nun diejenigen, die den Markt machen, auch die Iberer mischen mit. Und sogar Luxemburger wie Silva.«
»Sie kennen ihn?«
»Das wäre zu viel behauptet. Sagen wir, ich weiß von seiner Existenz. Die Gesellschaft, für die ich arbeite, istseit Jahren im Thunhandel tätig, vor allem in Logistik und Finanzierung.«
»Und wie heißt die?«
Carrone schüttelte den Kopf. »Bitte verzeihen Sie, dass ich in diesem Punkt zurückhaltend sein muss, aber meine Klienten möchten ungenannt bleiben. Aber, um das fortzuführen: Für uns ist Trebarca Silva durchaus kein Unbekannter. Was seine Liegenschaften in Sizilien angeht, da waren wir trotzdem überrascht. Davon wussten wir nichts. Es ist misslich, dass man uns nicht darüber informiert hat.«
»Wie meinen Sie das?«
»Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Silva kann natürlich tun und lassen, was er möchte. Hier herrscht schließlich freie Marktwirtschaft. Da seine Zuchtanlage zudem außerhalb italienischer Gewässer liegt, passiert alles, was sich dort
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