Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Auf dem riesigen Wanddisplay war eine Karte erkennbar, auf der die Isoletta sowie das Meer zu sehen waren. Rund um die Insel blinkten etliche kleine Punkte im Wasser. Neben ihnen befand sich jeweils eine kleine Legende, auf der »Fish Count«, »Maturity« und »Scheduled Maintenance« stand. Er war sich ziemlich sicher, dass die Punkte auf der Karte die Positionen der Aquapods angaben, die irgendwo da draußen im Tyrrhenischen Meer schwammen. Sicherlich konnte man diese Karte über den Computer auslesen und irgendwo waren vermutlich auch die Koordinaten verzeichnet. Weil er in derlei Belangen jedoch ein hoffnungsloser Fall war, nahm er einfach seine Kamera und machte Fotos des Bildschirms. Dann verließ er, ohne sich noch einmal umzuschauen, die Halle und kletterte zurück aufs Dach. Oben angekommen ging er als Erstes zu der Satellitenschüssel. Er umfasste den Teller und rüttelte daran. Es dauerte einen Moment, bis sich der obere Teil mit einem Knirschen löste. Mithilfe des Gaffs hebelte er ihn vollständig aus dem Scharnier und warf ihn über die Dachkante in den Innenhof, wo er mit lautem Scheppern aufschlug. Anschließend kletterte er die Leiter hinunter.
Gallo wartete am Strand auf ihn. »Sie haben die Tür nicht geöffnet«, sagte er.
»Ich hatte Probleme. Es wäre besser, wenn wir jetzt verschwinden.«
Sie hatten gerade die Leinen losgemacht, als sie sahen, wie sich das vordere Rolltor öffnete. Mehrere Männer kamen heraus, zeigten in ihre Richtung und riefen etwas. Einer hatte eine Maschinenpistole in der Hand. Gallo startete den Motor. Rasch entfernten sie sich. Die Männer auf der Isoletta, Kieffer zählte insgesamt vier, jagten auf Quads den Hang hinunter und hielten direkt auf die Schlauchboote zu, die am Ufer vertäut waren. »Sollten wir nicht schneller fahren?«, fragte Kieffer. »Die werden uns einholen.«
»Nur, wenn sie sehr schnell paddeln können«, sagte der Raís.
»Wie meinen Sie das?«
Der Sizilianer griff in seine Hosentasche und holte eine Handvoll Zuckerwürfel hervor. »Reicht kaum für die Heimfahrt. Fast mein ganzer Vorrat«, er zeigte mit dem Daumen über seine Schulter, »ist in den Tanks der Außenborder am Strand.« Er packte einen Würfel aus und zermalmte ihn genüsslich zwischen den Backenzähnen. »Es ist immer gut, Zucker dabeizuhaben.«
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31
Als sie Favignana erreichten, glühten die Steine der Hafenpromenade bereits in der Morgenhitze. Der Raís bugsierte Kieffer schnurstracks in eine Hafenbar, die nach seinen Angaben den »besten Kaffee Siziliens« braute. Während sie ihre Espressi tranken, zeigte der Koch dem Chef der Tonnara auf seinem Kameradisplay die Fotos, die er gemacht hatte. Während der Sizilianer die Bilder betrachtete, bekreuzigte er sich mehrfach. Schließlich sagte er: »Das ist wider die Natur.«
»Verstößt es auch gegen irgendein Gesetz?«, fragte Kieffer. Er zündete sich eine Zigarette an. »Diese Kerle kommen aufgrund der verzuckerten Bootsmotoren vermutlich erst einmal nicht von der Insel runter«, fuhr er fort, »und ihre Satellitenverbindung habe ich unterbrochen. Aber sehr lange wird sie das nicht aufhalten.«
Der Raís nickte. Dann erhob er sich abrupt. »Kommen Sie, wir haben nicht viel Zeit.«
»Wo wollen Sie hin?«
»Wir fahren nach Palermo.«
»Zur Polizei?«
»In der Art.«
Sie liefen hinauf zur Piazza Calvario, wo Kieffer sein Zimmer bei Signora Marta bezahlte. Zwei Stunden später waren sie auf der Autostrada Richtung Palermo. Der Raís telefonierte während der Fahrt auf Sizilianisch. Es schien eine komplizierte Angelegenheit zu sein, denn er schrieb mehrfach Telefonnummern auf einen Zettel, tätigte dann weitere Anrufe, strich die Notizen wieder durch. Als sie die Stadt erreichten, dirigierte ihn Gallo Richtung Altstadt. Schon vom Zubringer aus konnte er die alten Gebäude in der Gluthitze wabern sehen. Dann fuhren sie durch mehrere kleine Gässchen, in denen Kieffer nach wenigen Minuten die Orientierung verlor. Vor einer großen Villa hieß der Raís ihn stoppen. Sie war im maurischen Stil gehalten, mit blauen Kacheln und geometrischen Motiven an der Außenfassade. Gallo stieg aus und klingelte. Kurz darauf öffnete sich die Pforte des Anwesens und ein Bediensteter bedeutete Kieffer, in den Innenhof zu fahren. Hinter den Mauern, welche das Haus umgaben, verbarg sich ein sattgrüner Garten mit Palmen und Chinottobäumen sowie einer Fontäne, deren Wasser über eine Art kleines Aquädukt in ein flaches, längliches
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