Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
namenloser Straßen befanden. Pombal Foods saß in dem vielleicht größten Gebäude, einer schmuddelig-weißen Großmarkthalle mit gewölbtem Dach. Kieffer parkte den Lieferwagen. Seinem Kofferraum entnahm er ein paar Gummistiefel. Er zog sie an und streifte sich eine gefütterte Steppjacke über. Dann schlenderte er zum Haupteingang. Er war früh aufgebrochen und nun, kurz nach acht Uhr morgens, herrschte bei dem Großhändler reger Betrieb. Lkw parkten an mehreren Verladebuchten, Männer in weißen Kitteln und Plastikschürzen luden Kisten mit Fisch aus und schütteten große Mengen gestoßenes Eis über die Ware, bevor sie diese nach drinnen schleppten.
Kieffer betrat die Halle und schaute sich um. Im vorderen Teil befand sich eine kleine Bar, an der man Austern und andere Meeresspezialitäten bestellen konnte. Daneben erblickte er eine Auslage, auf der auf einem Bett aus gestoßenem Eis so ziemlich alles lag, was das Herz eines Fischliebhabers begehrte: Langusten, Königskrabben und Muscheln, ferner Doraden, Aale, Makrelen, Forellen, Shrimps und Tintenfische in allen Größen, sowieRäucherfisch und große Tüten, gefüllt mit jenen kleinen Flussfischchen, die man für Friture de la Moselle benötigte, im Ganzen in Teig ausfrittierte Häppchen, die hierzulande als Spezialität galten. Darüber hing eine große Tafel, die verkündete, dass es sich hier um die vente en détail handelte, den Einzelverkauf.
Kieffer ging weiter in den hinteren Teil der Halle, wo die Gastronomen einkauften. Nachdem er einem Kassierer seinen Gewerbeschein gezeigt hatte, gelangte er in ein gut hundert Meter langes und fünfzig Meter breites Areal, auf dessen nacktem Stahlbetonboden Plastiktröge standen, Hunderte, alle randvoll mit Fisch. Von einer Kette an der Decke hing ein ganzer Grauhai, das nach unten zeigende Maul weit aufgerissen. Zwischen den Boxen verliefen schmale Gänge, mit verquollenen Holzbohlen ausgelegt, damit man nicht in den allgegenwärtigen Eispfützen ausrutschte und sich alle Knochen brach. Auf den Boden waren nahe des Eingangs mit weißer Farbe Wegweiser gepinselt: Crustacés, Moules, Dorades und so weiter. Die Temperatur lag nur wenig über dem Gefrierpunkt und Kieffer konnte sehen, wie sein Atem kleine Dampfwölkchen bildete. Er lief einige Minuten zwischen den Kisten auf und ab und verschaffte sich einen Überblick. Der Koch fühlte sich unweigerlich an seine Zeit als Souschef im »La Houle« erinnert. Damals war er fast jeden Morgen beim Großhändler gewesen und hatte fangfrische Ware eingekauft. Der Escher Großmarkt war nicht der Rungis, aber Pombals Angebot war dennoch stattlich. Selbst Spitzenrestaurants würden hier fast alles finden, was sie brauchten.
Aber wo waren die Fische, die Kieffer suchte? Hinter den Muscheln und den Seeigeln fand er sie. Wie U-Boot-Torpedos lagen sie aufgereiht, ihre konischen Leiber von Raureif überzogen. Die Kleineren waren etwa anderthalb Meter lang, die Schwanzflossen fehlten – Yellowtails, eine kleinere Thunfischart. Dahinter lag ein Fisch, der wohl der größte in der ganzen Halle war. Auch ihm fehlte die Schwanzflosse, er glich dem Gelbflossenthun: dieselbe perfekt konische Form, das leicht geöffnete Maul voller spitzer Zähne. Das beeindruckendste an dem Monster war jedoch seine Größe. Er musste an die drei Meter lang sein. Kieffer hockte sich neben ihn und schaute auf das weiße Plastiketikett, das an einer Seitenflosse befestigt war: »Thunnus thynnus, 393 kg«. So viel wie fünf Männer wog dieser Bluefin. Und wie er auf den Mattanza-Bildern im »Il Sangue« gesehen hatte, brauchte es die auch, um dem Meer solch einen Kaventsmann zu entreißen.
Kieffer ging zu dem Verkaufsbüro, einem kleinen Verschlag am Rande der Halle. Er klopfte gegen die Scheibe. Der Pombal-Angestellte, ein südländisch aussehender Mann in einer dicken Daunenjacke, nickte ihm zu und öffnete ein Schiebefensterchen. »Moien. Was kann ich für Sie tun?«, fragte er auf Letzebuergisch.
»Moien. Ich würde gerne wissen, woher Ihr Thun stammt.« Kieffer zeigte auf die Fische hinter sich in der Halle.
»Der Yellowtail? Pazifik, denke ich.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich meine den Bluefin. Ziemlicher Brocken.«
Der Fischverkäufer grinste. »Oh ja, eine Seltenheit.«
»Weil es keine so großen mehr gibt?«
Der Mann zuckte mit den Achseln. »Weil wir die nur auf Bestellung holen. Heilige Mutter Gottes, wer brauchtschon einen ganzen Thun?« Er wandte sich einem beigebraunen
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