Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
geschrieben hatte:
»Lieber Xavier,
anbei ein bescheidener Beitrag für Ihre Vorratskammer. Haben Sie bereits Neuigkeiten für mich? Ich wünsche Ihnen eine gute Jagd!
F.«
Kieffer ließ die Hand mit der Karte sinken. Langsam begann er zu verstehen, was Valérie gemeint hatte. Der Pariser Bürgermeister, so hatte sie erklärt, überschüttete Menschen, von denen er etwas wollte, mit Geschenken und Annehmlichkeiten. Kieffer hatte lediglich eine kleine Bemerkung zu der Foie gras fallen lassen, die er in Allégrets Jagdschlösschen gegessen hatte – aber der Politiker schien das sofort gespeichert zu haben.
Der Koch ging in sein Büro und schaltete den Computer ein. Er gab bei Google »José Trebarca Silva Luxembourg« ein und bekam zu seinem Erstaunen immerhinfünf Treffer. Drei listeten einen Mann dieses Namens als stellvertretenden Vorsitzenden des katholischen Kulturvereins »Freunde Unserer Lieben Frau von Fatima« auf . Das passte; Allégret hatte ihm gesagt, Trebarca Silva sei Luxemburger – und sein Familienname wies darauf hin, dass der Mann möglicherweise portugiesischer Abstammung war. Menschen aus Portugal waren ab den späten Sechzigern in Scharen als Gastarbeiter nach Luxemburg gekommen. Insgesamt gab es heute wohl an die 70000 Bürger portugiesischer Abstammung im Großherzogtum. Das klang nicht nach viel, führte man sich aber vor Augen, dass die Gesamtbevölkerung nur bei 480000 Einwohnern lag, machten die lusophonen Immigranten fast 15 Prozent der Bevölkerung aus. Relativ betrachtet hatte Luxemburg damit viermal so viele Portugiesen wie Deutschland Türken. Inzwischen waren die meisten Einwanderer voll integriert, viele sprachen sogar Lëtzebuergesch, den moselfränkischen Dialekt der Einheimischen. Man nannte sie Luso-Luxembourges oder Lusobourges und sie hatten natürlich ihr Essen und ihre Kultur mitgebracht: pastéis de bacalhau, vinho verde, Fadomusik. Auch ihre Heiligen waren von der Atlantikküste mitgereist und hatten zwischen Alzette und Sauer eine neue Heimat gefunden. Allen voran die Maria von Fatima, für die es im luxemburgischen Wiltz sogar einen eigenen Schrein gab.
Trebarca Silva, das deuteten die Suchergebnisse an, war ein gläubiger Katholik und in einer Laienvereinigung organisiert. Die beiden anderen Treffer führten zu Firmen, die den Lusobourges im Impressum als Geschäftsführer verzeichneten. Die eine nannte sich Pombal Foods und war ein Fischgroßhandel. Von dem Unternehmen hatte Kieffer schon einmal gehört. Pombal war einer der bedeutendsten Verkäufer von Meerestieren in der Großregion, wie man Luxemburg und die angrenzenden Gebiete Lothringen, Saarland, Rheinland-Pfalz und Wallonien nannte. Das zweite Unternehmen hieß Samurai Sushi. Kieffer klickte sich durch die Homepage. Auch Trebarca Silvas zweite Firma bot Fisch an, vor allem vorfiletierten, einzeln abgepackt in kleinen Sushihäppchen. Außerdem gab es Wasabi-Pulver in Zehn-Kilo-Säcken, asiatische Keramik und japanisches Bier. »Wir sind Ihr Lieferant für alles, was mit Sushi zu tun hat«, versprach die Webpage. »Ob vormarinierter Reis, Fischfilets oder Sushiroboter – dank des All-In-One-Konzepts von Samurai Sushi können Sie in Rekordzeit Ihre original japanische Sushiya eröffnen.«
Der Koch verzog das Gesicht. Silva schien genau jenen Typus japanischer Restaurants zu beliefern, die seinem Freund Toro Hashimoto Schaum vor den Mund trieben. Kieffer suchte im Impressum nach den Adressen. Beide Firmen befanden sich in einem Industriegebiet etwas außerhalb von Esch-sur-Alzette. Er beschloss, gleich am nächsten Morgen in die ehemalige Industriestadt im Süden zu fahren. Vielleicht konnte er vor Ort mehr über Silva erfahren oder sogar mit ihm sprechen. Aber noch etwas anderes trieb ihn um. Ein Sushiroboter? Den wollte er gerne mit eigenen Augen sehen.
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Am Freitagmorgen fuhr Kieffer mit dem Auto ins knapp 20 Kilometer entfernte Esch. Die Stadt lag im Süden des Landes, wenige Kilometer vor Frankreich. Doch schon kurz vor dieser Grenze hörte Luxemburg in gewisser Weise auf, zumindest war hier Schluss mit der Postkartenversion seines Landes, die Ausländer gemeinhin so entzückte und die der Fremdenverkehrsverband so gerne bewarb. Wenn Touristen durch die penibel gefegten Straßen der Hauptstadt oder durch das puppenstubenhafte Echternach spazierten, waren sie überwältigt von dem geradezu schockierenden Wohlstand des Großherzogtums. Es waren nicht nur die viel zu großen Autos und die
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