Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Geschmacklosigkeiten vorzufinden, und er wurde nicht enttäuscht. Der Eingangsbereich sah aus wie ein Requisitenlager für asiatische B-Movies. Hier gab es alles, was Nichtjapaner für eine japanische Restauranteinrichtung zu benötigen glaubten: Samurai und Ninja als Postermotive sowie als Statuen, Drachen aus Holz, Porzellan und Polyethylen. Ferner künstliche Kirschblüten, Glückskatzen, deren elektrisch angetriebene Pfoten rhythmisch winkten und japanische Trennwände. Statt mit Reispapier waren sie praktischerweise mit abwaschbarer Folie bespannt. Er ging weiter in die Foodabteilung. In Reihen von Tiefkühlern lag dort filetierter Fisch. Gerade wollte er sich diesen näher anschauen, als ein lautes mechanisches Klackgeräusch seine Aufmerksamkeit erregte. Kieffer sah sich um. Es kam aus der Abteilung für Küchengeräte. War das einer der Sushiroboter? Kieffer lief los, und einige Regale weiter gelangte er zur Quelle des Lärms. Hier war ein Demonstrationsgerät aufgebaut, eine Apparatur von der Größe einer Waschmaschine. Das Gerät besaß oberhalb des Korpus einen großen durchsichtigen Trichter, in dem sich ein weißlicher Brei befand. Dieser rutschte allmählich in die Maschine und gelangte zu einem freiliegenden Stempelmechanismus, von dem das rhythmische Klacken ausging. Mit einem ununterbrochenen Tschunk-tschunk-tschunk spie das Gerät kleine rechteckige Reispakete aus, die umgehend von einem Laufband wegtransportiert wurden. Nachdem Kieffer sich die Sache eine Zeit lang angeschaut hatte, trat ein asiatisch aussehender Mann in einem weißen Kittel auf ihn zu. Sein breites Lächeln erinnerte Kieffer an den Haifisch, den er kurz zuvor bei Pombal von der Decke hatte baumeln sehen.
»Bonjour, Monsieur. Darf ich Ihnen behilflich sein?«
Während der Verkäufer seinen Satz in abgehacktem Französisch aufsagte, spuckte die Maschine drei weitere Reisbrocken aus.
»Worum genau handelt es sich bei diesem Gerät?«, fragte Kieffer.
»Das ist der Nigiri Master 5000. Er stellt die kleinen Reispakete her, die Sie für Nigirisushi benötigen. Vollautomatisch, er schafft bis zu tausend Stück in der Stunde. Ideal fürs Catering oder für große Restaurants. Schauen Sie.« Der Mann reichte Kieffer eines der Reisklümpchen. »Der Andruck ist variabel, das können Sie stufenlos einstellen. Sie müssen nur noch die Toppings drauflegen – fertig ist Ihr Sushi.«
Kieffer befühlte das Nigiri. Es hatte die Konsistenz eines Flummis. Er wusste, dass Sushimeister in ihrer Lehrlingszeit viele Monate, mitunter Jahre, auf das korrekte Ansetzen des Essigreises verwendeten, der die Grundlage aller Sushivarianten bildete. Und auch das Formen der Nigiribällchen mit der Hand galt unter japanischen Köchen als Kunstform. Der Reisklumpen durfte nicht zu fest zusammengepresst werden. Denn sonst, und das war das Ziel, zerfiel er nicht in seine Bestandteile, wenn der Gast das Nigiri in den Mund steckte. War das Bällchen hingegen zu locker, desintegrierte es womöglich schon vor dem Gaumenkontakt. Erfahrenen Sushimeistern sagte man nach, dass sie die Dichte ihrer Nigiri variieren konnten, je nach den Essensgewohnheiten des Gastes; aß jemand sein Sushi mit der Hand und ohne Sojasoße, konnte man es lockerer formen. Tunkte der Kunde seine Reisbällchen gerne ein oder verwendete er Essstäbchen, um sie zum Mund zu führen, musste man den Reis fester zusammendrücken. All das ging Kieffer durch den Kopf, als er dem Mann den Reisflummi zurückgab und sich mit einer Papierserviette die klebrige Stärke von den Fingern wischte.
»Verstehe. Und diese Toppings …?«
»Darunter verstehen wir den Belag, der auf den Reis kommt«, erklärte der Mann und zeigte in Richtung der Tiefkühlabteilung. »Ob Garnelen, eingelegter Rettich oder Thun – Sie können all das bei uns im richtigen Zuschnitt kaufen.« Der Mann setzte wieder sein Maximallächeln auf. »Sind Sie neu im Sushibusiness, wenn ich fragen darf?«
»Hmmm? Oh ja, das heißt, ich wollte mich mal erkundigen, was man so alles braucht. Ich habe ein Restaurant und da würde eine Sushibar sicher gut reinpassen.«
»Wo denn?«
»In Clausen, das ist ja jetzt ein Inviertel, und diese jungen Leute …«
Der Mann nickte eifrig.
»Allerdings ist es doch eine ziemlich komplizierte Küche, oder? Man braucht Köche mit einer Spezialausbildung.«
Der Verkäufer schüttelte energisch den Kopf. »Das war früher. Heute ist das alles viel einfacher. Wir haben hier alles, was Sie
Weitere Kostenlose Bücher