Rotes Haar - Herz in Gefahr!
„Er bedeutet mir sehr viel.“
„Wenn du ihn von Stephanie bekommen hast, ist das nur verständlich.“
Verwundert sah sie hoch und suchte in Gideons Gesicht nach dem reservierten Spott, den er so gern zur Schau trug. Doch er wirkte beinahe teilnahmsvoll. „Vermisst du Jordan?“
Auf diese Frage war er nicht vorbereitet. „Dazu hatte ich wohl kaum Zeit, schließlich ist er erst heute Morgen abgereist.“
„Ich meine natürlich davor“, stellte sie ungeduldig klar. „Wie lange lebt er jetzt schon in L.A.?“
„Zehn Jahre.“
Stephanie war erst zwei Monate fort, trotzdem spürte Joey die große emotionale Lücke, die ihre Schwester hinterlassen hatte. „Und am Anfang dieser zehn Jahre? Hat er dir sehr gefehlt?“
„Hast du denn Sehnsucht nach Stephanie?“
„Es gibt ja wohl keinen Grund, so überrascht zu klingen“, verteidigte sie sich sofort.
Damit hatte Joey wohl recht. Auch wenn Gideon sie als Nervensäge betrachtete, die ihn bei jeder kleinsten Gelegenheit provozieren musste, war es doch nicht unwahrscheinlich, dass sie ihrer Zwillingsschwester dieselben Gefühle entgegenbrachte wie er seinem Bruder Jordan.
„Stimmt, ich habe ihn wahnsinnig vermisst“, gab Gideon brummig zu. „Aber es wurde mit der Zeit besser.“
Eine ganze Weile sahen die beiden sich nur schweigend an, als würden sie zum ersten Mal im anderen etwas erkennen, das ihnen zuvor verborgen geblieben war. Sensibilität, Einfühlungsvermögen, gleiche Erfahrungen. Das verursachte einen Riss in der unsichtbaren Mauer, die zwischen ihnen stand, und es machte sie beide verletzlich.
Gideon fand diese neue Seite an Joey durchaus verstörend, doch viel mehr setzte ihm zu, dass er sich selbst plötzlich verunsichert fühlte. Eine Erfahrung, die ihm gänzlich unbekannt war.
„Der Drache ist sehr schön“, wechselte er das Thema. „Allerdings bevorzuge ich es, an reale Dinge zu glauben.“
„Möglicherweise ist genau das dein Problem“, konterte sie und packte weiter ihre Kisten aus.
Sein ganzer Körper spannte sich an. „Mir war gar nicht klar, dass ich ein Problem habe.“
Seufzend setzte Joey sich auf die Tischplatte und zog eine geschwungene Augenbraue hoch. Ihr Bleistiftrock war leicht nach oben gerutscht und gewährte einen großzügigen Blick auf ihre schlanken Beine. „Du hältst es also nicht für ein Problem, völlig fantasielos zu sein?“
Das war eine recht unverhohlene Beleidigung, die Gideon zu ignorieren versuchte. „Ich denke, ich kenne mich selbst gut genug, um mich realistisch einschätzen zu können“, entgegnete er ausweichend.
Joey hatte es gleich bereut, ihm von ihrer Sehnsucht nach Stephanie erzählt zu haben, doch dann war Gideon plötzlich überraschend verständnisvoll gewesen. Ihm waren derartige Gefühle durchaus vertraut, und das ließ ihn schlagartig viel menschlicher und liebenswerter wirken.
Auf den ersten Blick war er ein extrem selbstsicherer Mann, wirkte dabei fast abweisend und sogar gefühlskalt. Aber scheinbar gab es Momente, in denen er sich genauso hilflos und verloren fühlte wie sie, weil ihm sein geliebter Zwilling fehlte.
„Kein Grund, gleich zickig zu werden“, zischte sie.
„Zickig? Ich?“ Er schüttelte den Kopf. „Du bist echt die unmöglichste Frau, die mir je begegnet ist, weißt du das?“
„Ist das so?“ Sie lächelte.
„Das war nicht als Kompliment gemeint.“
„Habe ich auch nicht angenommen“, versicherte Joey ihm trocken. „Aber darf ich mich wenigstens geehrt fühlen, dass der ehrenwerte Gideon St. Claire den aristokratischen Blick weit genug hinabgesenkt hat, um meine Existenz zu bemerken und sogar ein Urteil über mich zu fällen?“
Es war die impulsive, schlagfertige Natur dieser Frau, die Gideon nachhaltig irritierte, sobald er sich in ihrer Nähe befand. Er war regelrecht verunsichert und ständig gespannt darauf, was sie als Nächstes von sich geben würde. Keine einfache Situation für einen Mann, der üblicherweise souverän und jederzeit seinen Mitmenschen überlegen durchs Leben schritt. Sie brachte seine Gefühle durcheinander, und das war – weiß Gott – kein wünschenswerter Zustand!
Seine Nasenflügel bebten leicht, als er tief Luft holte. „Wer von uns beiden wird denn jetzt beleidigend?“
„Bist du etwa kein Aristokrat … Lord Gideon St. Claire?“, fügte sie hinzu, als würde er diesen Titel jemals vergessen können.
Aber weder er noch seine Brüder führten offiziell ihren vollständigen Namen. Die meisten Leute
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