Rotes Haar - Herz in Gefahr!
erledigen sollst?“ Außer natürlich, eine lästige Landplage zu sein!
Joey zog die Augenbrauen hoch. „Nun, ich denke, er befürchtete in erster Linie, du würdest mir bei den juristischen Fragen nicht allzu freie Hand lassen. Aber ich habe keine Schwierigkeiten damit, mich neuen Herausforderungen zu stellen. Außerdem wirst du genug damit zu tun haben, dir eine Sekretärin zu suchen, Lexie steht ja nun nicht mehr zur Verfügung.“
„Aber meine eigene Assistentin …“
„Ist ja jetzt vorübergehend meine Assistentin“, schloss sie sachlich.
Gideon biss sich auf die Zunge. Es machte selbstverständlich keinen Sinn, auch noch seine Sekretärin aus ihrem laufenden Arbeitsfeld abzuziehen. Nein, er war derjenige, der sich Ersatzpersonal suchen musste. Diese Situation wurde ja immer verfahrener. Wahrscheinlich saßen Lucan und Lexie in diesem Augenblick auf ihrer privaten Karibikinsel und schütteten sich aus vor Lachen, weil sie ihn in diese Falle hatten laufen lassen. Die Liebe hatte seinen älteren Bruder wirklich unberechenbar gemacht – aber sie hatte ebenfalls eine ungeahnte humorvolle Seite in Lucan wachgerufen.
„Wenn dir das lieber ist, kann ich auch dein Büro benutzen“, schlug Joey vor und tippte wieder ungeduldig mit der Spitze ihres hochhackigen Schuhs auf den Boden. „Aber beeile dich bitte mit deiner Entscheidung, Gideon, die Kiste hier wird langsam schwer.“
So spontan wusste er sich keinen Rat. Sein Büro am Ende des Flurs hatte Gideon immer als einen ganz persönlichen Ort empfunden: mit weißen Holzpaneelen verkleidete Wände, hohe Bücherregale, in die seine Fachliteratur alphabetisch eingeordnet war, und ein großer, penibel aufgeräumter Mahagonitisch. Anders als die meisten Menschen umgab er sich bei der Arbeit nicht mit Nippes und überflüssigen Büroutensilien.
Die zwei vollgestopften Kisten von Joey sprachen allerdings dafür, dass sie sich während der nächsten vier Wochen häuslich einzurichten gedachte. Und so eine Unordnung wollte er in seinem heiligen Arbeitszimmer bestimmt nicht haben. Das war genauso inakzeptabel wie …
„Zu spät“, verkündete Joey laut und öffnete mit dem Ellenbogen die Tür zu Lexies Büro. „Sehr schön“, murmelte sie, während sie sich mit dem Karton auf dem Arm um die eigene Achse drehte.
Zögernd folgte Gideon ihr in den Raum. „Was ist eigentlich hier drin?“, brummte er und zeigte mit dem Kinn auf die Kiste, die er trug. „Steine?“
Diesen Kerl kann man wirklich nicht als Spaßvogel bezeichnen, dachte sie verächtlich. Er ist ja regelrecht angriffslustig!
„Nicht ganz“, antwortete sie ruhig und begann, einige Gegenstände aus dem schützenden Zeitungspapier auszuwickeln.
Zum Vorschein kamen genau die Dinge, mit denen Gideon schon gerechnet hatte: ihr Staatsexamen, einige gerahmte Fotos von ihren Eltern und auch von Jordan und Stephanie, ein Briefbeschwerer aus Glas, in den eine perfekte, gelbe Rosenblüte eingeschlossen war, ein goldener Drache … Halt! Ein goldener Drache?
„Ja, und?“ Sie hielt die glänzende Figur fest in der Hand, als sie sich zu Gideon umdrehte.
Erst jetzt wurde ihm klar, dass er seinen letzten Gedanken offenbar laut ausgesprochen hatte. Aber mal ehrlich, ein Drache? Auch wenn er so kunstvoll gearbeitet war wie dieser, mit ausgebreiteten Flügeln und leuchtenden saphirblauen Augen, passte ein solches Ornament nicht zu dem brüsken, überheblichen Bild, das er von dieser Frau gewonnen hatte.
Genauso wenig wie die engelsgleiche Gesangsstimme.
Joey sah ihn an und runzelte die Stirn. Seiner Miene nach zu urteilen, hätte er in diesem Moment genauso gut ein Maschinengewehr in den Händen halten können – kampfbereit.
„Den hat Stephanie extra für mich anfertigen lassen, als ich meine Anwaltszulassung bekam.“
Ihre Zwillingsschwester wusste, dass Drachen für Joey eine wichtige Bedeutung hatten. Seit ihrem siebten Lebensjahr träumte Joey regelmäßig von einem goldenen Drachen, und zwar, wann immer ein Problem sie belastete – sei es in der Schule, privat oder mit Freunden. Auch als sie und Stephanie im Alter von zehn Jahren einen schweren Autounfall erlitten und ihre Zwillingsschwester anschließend zwei Jahre lang nicht mehr laufen konnte, hatten Joey die Träume von ihrem goldenen Drachen immer neuen Mut und Zuversicht geschenkt.
Aus diesem Grunde wollte sie das Geschenk ihrer Schwester immer in ihrer Nähe wissen. Entschlossen platzierte sie die Figur mitten auf dem Schreibtisch.
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