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Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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unsichtbaren Spuren abzusuchen. Er setzte sich wieder in Bewegung, auf die Häuser zu. Da – plötzlich eine Bewegung! Dort! Hinter den Büschen links flammte etwas auf. War es noch ein Sonnenstrahl? Nein. Nicht so tief. Die Strahlen würden die Dächer der Häuser treffen, wenn die Sonne im Osten aufging. Da war es wieder! Weiter links. Etwas blitzte auf, erlosch. Hinter den Büschen fuhr jemand auf einem Fahrrad! Winter setzte sich in Bewegung, lief über das Feld, schneller als er sollte, wenn er an seine Knie und Waden dachte. Jetzt sah er den Jungen. Das Fahrrad entfernte sich von den Büschen. Winter versuchte noch schneller zu laufen, er hatte bereits das halbe Feld überquert. Hier gab es keine Büsche mehr. Er sah, dass sich der Junge umdrehte und dann die Geschwindigkeit erhöhte. Es war derselbe Junge. Winter lief weiter. Er hob die Hand wie zu einer Art Gruß. Er wollte freundlich erscheinen. Er wollte den Jungen mit dem freundlichen Gruß aufhalten, aber der Junge ließ sich nicht aufhalten, er sah sich nicht mehr um. Er bog um eine Ecke und war weg. Jetzt hatte Winter Asphalt unter den Füßen. Er spürte, wie sich seine Waden strafften, aber noch war da drinnen nichts gerissen. Langsam gaben seine Lungen auf. Er hatte auf einmal heftige Stiche in der Brust, und über seinem Auge zuckte ein Schmerz. Nur noch um die Ecke, dachte er. Gleich bin ich da.

    Halders hatte eigentlich vorbeifahren und ein wenig später zurückkommen wollen, bemerkte jedoch Winters Auto auf dem Parkplatz. Es war zwar ein Mercedes, aber Winter müsste ihn langsam mal gegen ein neues Modell austauschen. Aber vielleicht wartet er noch zehn Jahre, und dann ist es ein Auto, das alle haben wollen. Vintage . In zehn Jahren sind wir alle Vintage . Dann wollen uns alle haben, mehr noch als jetzt.
    Halders parkte neben Winters Auto. Er stieg aus und ging auf den Laden zu. Er war zum ersten Mal hier, am Tag zuvor hatte er keine Zeit gehabt. Die Tür zum Laden stand offen. Halders konnte keinen Kollegen entdecken, der Wache hielt. Er schaute hinein und sah all das Rote, das sich von der Schwelle und weiter in den Raum ausbreitete, zu den Regalen, Tresen, Tischen. Die Regale waren voller Nahrungsmittel, Tüten, Konserven, Gläser, Aluminium. Farbenfrohe Etiketten. Er bemerkte eine Tiefkühltruhe, eine kleine Fleischtheke mit Ringen von prallen türkischen Lammwürsten. Eine Gemüseauslage in Rot, Grün, Lila. Halders erkannte Auberginen, wenn er sie sah, bereitete sie jedoch selten zu. Es dauerte so verdammt lange, die Scheiben mussten gesalzen und ausgepresst werden, um ihnen die Feuchtigkeit zu entziehen, bevor man sie braten konnte. Er sah große flache Brotlaibe, Gläser mit Gurken und Peperoni, Schachteln mit übersüßen Naschereien, von denen man Diabetes auf Lebenszeit bekam, wenn man nur einen Happen davon aß. Dies ist eher ein Supermarkt als ein kleiner Tante-Emma-Laden. Möchte wissen, wie viel von dem hier auf legale Art herangeschafft worden ist. Wurde in diesen Stadtteilen mit Lebensmitteln überhaupt auf legale Weise gehandelt? Hatte nicht ein ehrwürdiger alter schwedischer Konsum an irgendeinem Marktplatz in dieser Gegend schließen müssen? Weil die Lieferanten zu teuer geworden waren?
    Halders ließ seinen Blick von links nach rechts wandern. Hier drinnen gab es überall Spuren der Morde. Herr im Himmel, es sieht entsetzlich aus. Wer kann so hassen?
    Die Mörder sind vorgegangen, als sollte kein Gesicht mehr zu erkennen sein, hatte er beim Studium der Fotos im Dezernat gedacht.
    »Sie scheinen es auf die Gesichter abgesehen zu haben«, hatte er hinterher zu Winter gesagt. »Aber sie haben doch wohl nicht im Hinblick auf die Identifizierung so gehandelt.«
    Winter hatte nicht geantwortet.
    »Oder?«
    »Das glauben wir jedenfalls nicht.«
    »Wie meinst du das, Erik?«
    »Ich weiß es noch nicht genau«, hatte Winter geantwortet. »An diesem Fall ist etwas, das ich nicht verstehe. Noch nicht.«
    Halders stand immer noch an der Türschwelle.
    Plötzlich hörte er jemanden irgendwo draußen rufen. Es klang wie ein Hilfeschrei. Es klang wie ein Echo.

    Winter hörte seine eigene Stimme zwischen den Häusern widerhallen. Der Ruf hatte nichts gebracht, er machte den Jungen nicht sichtbar. Er konnte um die andere Ecke gebogen sein oder das Fahrrad in einen Hauseingang geschleppt und sich verdrückt haben. Konnte irgendein Junge gewesen sein. Er braucht nicht unbedingt etwas gesehen zu haben. Vielleicht wusste er gar nichts. Warum

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