Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
Vom Netzwerk:
Vielleicht um etwas anderes. Verbrechen. Etwas, wovon er gewusst hat. Das er nicht hätte wissen dürfen.«
    »Und ich sollte das wissen? Dann hätte ich es doch verstanden.«
    Sie hatten die Kirche hinter sich gelassen. Irgendwo starteten Autos. Vor ihnen lag ein großer Parkplatz.
    »Wie soll ich das wissen?«, sagte Nasrin.
    »Manchmal gibt es Geheimnisse, die man nicht kennt«, sagte Winter.
    »Deswegen heißen sie wahrscheinlich Geheimnisse«, sagte sie. »Aber jemand anders hätte vielleicht was gesagt. Jemand anders hätte es nicht für sich behalten können.«
    »Wer?«
    »Keiner von seinen Freunden hat was mit Verbrechen zu tun gehabt. Sie haben doch bestimmt mit ihnen gesprochen.«
    »Wir sind dabei.«
    »Dann wissen Sie es. Darunter sind keine Verbrecher.«
    »Das stimmt nicht ganz«, sagte Winter.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Mehrere von ihnen sind früher schon mal von der Polizei verhört worden.«
    »Von der Polizei verhört worden? Was hat das schon zu bedeuten? Das bedeutet doch gar nichts. Die Leute, die hier oben wohnen, sind alle schon mal von der Polizei verhört worden!«
    »Nicht alle Freunde von Hiwa waren unschuldig«, sagte Winter.
    »Ich will das nicht hören.«
    »Sie haben Angst«, sagte Winter.
    »Wovor?«
    »Vor dem, was Hiwa umgebracht hat.«

    Winter begleitete Nasrin zurück nach Hause. Über dem Platz hing ein Geruch von Zement. In der östlichen Ecke wurde gemauert. Die Arbeiter machten gerade eine Pause. Winter sah die aufgestapelten Betonplatten vor einem stillstehenden Zementmischer. An einem Balkon im zweiten Stock hing schlaff eine schwedische Fahne.
    Azad kam zusammen mit zwei Freunden über den Platz geradelt. Als er Winter sah, bremste er sein Rad wie ein scheuendes Pony. Seine Freunde fuhren an Winter und Nasrin vorbei. Azad sah aus, als wäre er am liebsten umgekehrt. Nasrin sah auch aus, als wollte sie umkehren. Was ist mit dieser Familie los? Sie hat Angst. Und Angst haben sie nicht vor mir. Angst haben sie schon länger, und zwar nicht davor, ausgewiesen zu werden. Nicht im Moment, nicht in diesen Tagen. Oder diesem Monat. Da muss sich schon vorher etwas ereignet haben. Hiwa ist in eine Situation geraten, aus der er nicht mehr heraus konnte. Warum zum Teufel kommen wir nicht dahinter? Haben hier alle Angst? Ist das der Auslöser für alles? Eine Stadt, erbaut aus Angst. Wir haben sie gebaut. Wir, die Grütze-und-Milch-Schweden. Die Fleischklößchen-und-Kartoffel-Schweden.
    »Azad!«
    Er hörte Nasrins Stimme. Der Junge war schon wieder in dieselbe Richtung unterwegs, aus der er gekommen war. Er hielt an und drehte sich um. Seine Haare klebten an seiner schweißnassen Stirn. Nasrin ging mit schnellen Schritten auf ihn zu.
    »Was machst du in der Sonne! Du bist ja ganz durchgeschwitzt.«
    Azad antwortete nicht. Er schielte unter seinen klebenden Haarsträhnen zu Winter hinauf.
    »Und was machst du?« Sein Blick wanderte zur Schwester. »Du bist ja auch draußen in der Sonne.«
    »Ich musste einige Fragen beantworten.«
    Wieder sah der Junge Winter an mit einem Blick, der besagte, dass er keinesfalls die Absicht hatte, irgendwelche Fragen eines akash , eines Bullen, zu beantworten.
    »An dich hab ich auch ein paar Fragen, Azad«, sagte Winter.

    Azad wollte keine Pizza, er wollte gar nichts.
    »Ich nehm Kebab«, sagte Winter. »Ich hab Hunger.«
    Nasrin begnügte sich mit einer Tasse Kaffee. »Mittags esse ich nichts.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich nicht noch dicker werden will.«
    Azad verdrehte die Augen. Winter verstand, warum. Nasrin war schlank, fast dünn. Mithilfe der Zigaretten und durch den Verzicht auf das Mittagessen hielt sie ihr Gewicht.
    Winter sah Azads Blick, der an dem rotierenden Kebabspieß hing. Später würde er an Winters Teller hängen, wenn der auf dem Tisch stand. Das wäre eine subtile Form von Folter, aber daran war Winter nicht gelegen.
    »Ich verspreche, dass ich keine Fragen stelle, während wir essen«, sagte er und nickte Azad zu. »Hinterher übrigens auch nicht.«
    »Warum sitzen wir dann hier?«, fragte der Junge.
    »Weil ich Hunger habe, das hab ich doch gesagt.«
    Azad warf dem wunderbaren Spieß wieder sehnsuchtsvolle Blicke zu. Ein Mann schnitt schöne braune Stücke davon ab. Winter hatte Kebab mit allem Drum und Dran bestellt und setzte voraus, dass das Brot warm war.
    »Hast du nicht wenigstens ein bisschen Hunger, Azad?« Winter kam es so vor, als lachte Nasrin kurz auf, aber vielleicht hatte sie nur gehustet oder geniest. Sie

Weitere Kostenlose Bücher