Rotglut
unnachahmliche Weise. Hölzle erfasste der blanke Neid, als Marthe aufstand und erklärte, sie müsste mal kurz mit ihrem Hund Theo noch eine kleine Runde drehen. Er wünschte in diesem Moment, er wäre Theo oder doch eher, Theo wäre sein Hund, dann hätte er einen Grund gehabt, aufzustehen und sich davonzumachen.
Doch dann klingelte gnädigerweise das Telefon. Hölzle stand erleichtert auf und ging ins Wohnzimmer, in der Hoffnung, dass der Anruf wichtig wäre und er sich aus dem Staub machen könnte.
»Ja, Hölzle.«
»Männliche Leiche im Bürgerpark beim Hermann-Löns-Stein«, hörte er Jean-Marie Muller am anderen Ende sagen. Der Leiter des Kriminaldauerdienstes brachte ihn kurz und knapp auf den aktuellen Stand, informierte ihn darüber, dass die Gerichtsmedizinerin und die Staatsanwaltschaft bereits verständigt wären, und legte dann auf.
KHK Hölzle empfand fast so etwas wie Freude, zumindest jedoch Erleichterung, denn angesichts eines Toten wäre Freude doch ziemlich pietätlos gewesen. Aber wenigstens entkam er so diesem wenig erquicklichen Abend.
Zurück im Esszimmer, die Autoschlüssel bereits in der Hand haltend, verkündete Hölzle, dass er arbeiten müsse.
»Nee, das kann doch nicht wahr sein«, stöhnte Christiane. »Können nicht Harry oder Peter hinfahren? Ausgerechnet heute!«
»Tut mir leid, meine Süße. Harry hat heute frei und ist bestimmt noch bei Markus und den anderen, um das 4:1 zu feiern. Den könnte ich so eh nicht gebrauchen.« Er küsste sie flüchtig zum Abschied. Den anderen nickte er kurz zu. »Tschüss zusammen. Ist leider nicht zu ändern, dass ich euch verlassen muss.« Mühsam verbarg er ein erleichtertes Grinsen.
»Was ist denn eigentlich so Wichtiges passiert, dass der Herr Polizist nicht mit seiner Freundin den Abschluss ihrer Doktorarbeit weiterfeiern kann?«, fragte Manfred Johannsmann herablassend.
»Mensch, Papa …«, warf Christiane ein, doch weiter kam sie nicht, denn Hölzle hatte die Nase voll. Jetzt reichte es ihm. Aber endgültig.
»Ich sag Ihnen das jetzt nur noch einmal. Wenn ich gerufen werde, dann ist meistens ein Mensch tot. Selbstmord, fahrlässige Tötung, schwere Körperverletzung mit Todesfolge, Totschlag oder Mord. Suchen Sie sich’s aus. Und die Aufklärung solcher Verbrechen ist doch nicht ganz so unwichtig für alle Beteiligten, auch wenn Sie das vielleicht nicht verstehen können.« Mit jedem Wort wurde er lauter, und sein Gesicht nahm eine ungesunde Röte an. »Es geht ja nur um Menschen und nicht um irgendwelche Bauteile für Maschinen. Es ist mein gottverdammter Job, und ich mache ihn gern. Klar so weit? Und Ihre Tochter hat damit kein Problem! Schönen Abend noch!«
»Heiner, bitte …«, versuchte Christiane, ihn zu beruhigen, aber eigentlich war ihr klar, dass es keinen Zweck hatte.
Im Rausgehen knallte Hölzle die Esszimmertür zu, sodass sie fast aus den Angeln fiel. »Ehrlich, Papa, das war jetzt …«, konnte er Christiane noch vorwurfsvoll sagen hören, dann war er aus der Wohnungstür und rannte die Treppen hinunter.
›Bleeder Hond! Was glaubsch du eigentlich, wer du bisch? Bisch au bloß an kloiner Diblomingenieur, aber sich aufführa, wia wenn du’s Auto erfonda hättsch‹, dachte er wütend, als er schnellen Schrittes zu seinem Auto lief. In seinem Zorn bemerkte er nicht einmal Tante Marthe, die mit ihrem Theo gerade vom Gassigehen zurückkam und ihm nachstarrte.
28. Juni 2010, Bremen
Pünktlich um neun Uhr versammelten sich alle, wie immer bei einem neuen Fall, in Hölzles Büro. Schipper, Dahnken, Dr. Adler-Petersen und Staatsanwältin Henriette Deuter, von allen nur Henri genannt. Auch Muller vom Kriminaldauerdienst, der als Erster am Tatort gewesen war, war zugegen, um, wie es üblich war, seine ersten Eindrücke zu schildern. Hölzle hatte die Sekretärin Hilke Maier gebeten, für alle Kaffee zu machen, denn seine Kaffeedose war wieder einmal leer. Heute hätte er wahrscheinlich auch verlangen können, dass sie den Kaffee im Tutu brachte, denn als unerschütterliche Fußball- und vor allem Werderanhängerin schwebte Hilke nach dem gestrigen Spiel auf Wolke sieben.
Harry Schipper hatte den Kaffee am nötigsten, seine Augen schienen kleiner als sonst. Es war gestern wohl recht spät geworden und vor allem feucht-fröhlich. Dankbar griff er nach der Tasse, die Hilke Maier ihm reichte.
»So, dann lasst uns mal anfangen«, begann Hölzle. »Den Todeszeitpunkt haben wir ja quasi auf die Minute genau, nachdem der
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