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Roth, Philip

Titel: Roth, Philip Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nemesis
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bleichen, bevor sie einen zu Asche verbrannte. Die Klage von Alans Vater klang ihm noch in den Ohren, und er fragte sich, ob er nicht für den Rest des Sommers ab dreiunddreißig Grad alle sportlichen Aktivitäten verbieten sollte. So würde er wenigstens irgendetwas tun - doch ob das etwas war, das der Ausbreitung der Polio entgegenwirkte, wusste er nicht.
    Syd's war beinahe leer. Im Dunkel am hinteren Ende des Raums bearbeitete jemand fluchend den Flipperautomaten, und zwei Highschool-Jungen, die er nicht kannte, alberten an der Jukebox herum, die gerade I'll Be Seeing You spielte, einen der großen Hits dieses Sommers. Marcia hörte ihn gern, wenn er im Radio gespielt wurde, und wahrscheinlich war er beliebt bei all den Frauen und Freundinnen, deren Männer und Freunde in den Krieg gezogen waren. Er erinnerte sich, dass er und Marcia auf ihrer hinteren Veranda dazu getanzt hatten, in der Nacht vor ihrer Abreise nach Indian Hill. Sie hatten den Song gehört, sich im Arm gehalten, langsam getanzt und schon angefangen, einander zu vermissen, obwohl Marcia noch gar nicht fort gewesen war.
    In den Nischen und auf den Hockern an der langen Theke saß niemand. Bucky setzte sich in die Nähe der Fliegentür, wo das bisschen frische Luft, das durch das Ausgabefenster zur Chancellor Avenue hereinkam, noch am ehesten spürbar war. Hinter der Theke standen zwei große Ventilatoren, doch das half so gut wie nichts: Es war heiß hier drinnen, und es roch nach Frittierfett.
    Er bestellte einen Hot Dog und ein kaltes Ginger Ale und aß allein an der langen Theke. Draußen, auf der anderen Straßenseite, war wieder Horace, der in der betäubenden Äquatorhitze von Newark langsam den Hügel hinaufging, vermutlich zum Sportplatz, weil er nicht wusste, dass heute Samstag war und dass der Sportplatz an Samstagen im Sommer um zwölf Uhr geschlossen wurde. (Es war nicht ganz klar, ob er überhaupt wusste, was »Sommer«, »Sportplatz«, »geschlossen« oder »zwölf Uhr« bedeutete. Er überquerte nicht die Straße, und das hieß vermutlich, dass er zu den rudimentären Gedanken, die erforderlich waren, um das Konzept »Schatten« zu erfassen, nicht imstande war, ja dass er nicht einmal instinktiv Schatten suchte, wie es an einem Tag wie diesem jeder Hund getan hätte.) Horace würde um das Schulgebäude herumgehen und feststellen, dass niemand dort war. Was würde er dann tun? Stundenlang auf der Tribüne sitzen und auf die Jungen warten oder seine Wanderung durch die Straßen des Viertels fortsetzen, bei der er immer aussah wie ein Schlafwandler? Ja, Alan war tot, und die Polio gefährdete das Leben der Kinder in der Stadt, und dennoch fand Mr. Cantor es irgendwie deprimierend, Horace zuzusehen, während dieser ganz allein in der brüllenden Hitze durch die Straßen ging, einsam und hirnlos in einer glühenden Welt.
    Wenn die Jungen Baseball spielten, setzte Horace sich entweder stumm auf das äußerste Ende der Bank, auf der die Mannschaft saß, die am Schlag war, oder er spazierte über das Spielfeld und blieb direkt neben einem der Spieler stehen. Alle kannten das und wussten, dass die einzige Methode, Horace loszuwerden - und sich wieder auf das Spiel zu konzentrieren -, darin bestand, dem Trottel herzlich die leblose Hand zu schütteln und zu sagen: »Hallo, Horace, wie geht's?«, worauf er, anscheinend zufriedengestellt, zum nächsten Spieler ging. Das war alles, was er vom Leben erwartete: dass ihm jemand die Hand schüttelte. Keiner der Jungen lachte ihn je aus oder ärgerte ihn - jedenfalls nicht, wenn Mr. Cantor in der Nähe war -, keiner außer den beiden wilden und ungebärdigen Kopferman-Brüdern. Myron und Danny waren starke, stämmige Jungen und gute Sportler - Myron war leicht erregbar und streitlustig, während Danny eher verdeckt und hintenherum agierte. Besonders der elfjährige Myron versprach ein regelrechter Sportplatztyrann zu werden und musste gebremst werden, wenn er die Mädchen beim Seilspringen störte oder es zwischen den Jungen zu Meinungsverschiedenheiten kam. Mr. Cantor verbrachte einen guten Teil seiner Zeit damit, dem unbeherrschten Myron den Geist des Fair Play zu vermitteln und ihn zu ermahnen, er solle Horace nicht ärgern.
    »Sieh mal«, sagte Myron, »sieh mal, Horace. Sieh mal, was ich mache.« Wenn Horace sah, wie sich die Spitze von Myrons Turnschuh rhythmisch hob und senkte, begannen seine Finger zu zucken. Er wurde ganz rot im Gesicht und fuchtelte mit den Armen, als wollte er einen

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