Rotkäppchen und der böse Wolf
starrte er sie an. Seine blauen Augen schimmerten voll unterdrückter Gefühle. Dann lächelte er plötzlich.
»Es gibt eine Redensart«, sagte er. »Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.« Er lachte. »Wenn ich ein guter Deutscher sein will, muss ich pünktlich zur Arbeit kommen. Also erlauben Sie – guten Morgen.«
Wieder die steife Verbeugung. Tuppence sah ihm nach und schalt sich aus: Mrs Blenkensop, diesmal haben Sie eine Dummheit gemacht. Seien Sie in Zukunft gefälligst etwas vorsichtiger. So, und nun zum Frühstück!
Die Tür zur Halle des Sans Souci war geöffnet. In der Halle redete Mrs Perenna zungenfertig auf irgendjemanden ein.
»Und dann sag ihm ordentlich meine Meinung über diese letzte Margarine. Den gekochten Schinken holst du bei Quiller, da kostete er das vorige Mal zwei Pence weniger, und den Kohl…« Sie brach ab, als Tuppence eintrat.
»Oh, guten Morgen, Mrs Blenkensop, sind Sie aber eine Frühaufsteherin! Sie haben ja noch gar nicht gefrühstückt. Im Esszimmer steht schon alles bereit.« Auf die junge Dame an ihrer Seite deutend, fügte sie hinzu: »Meine Tochter Sheila. Sie kennen sie noch nicht. Sie war fort und ist erst gestern Abend wiedergekommen.«
Tuppence blickte mit Interesse in das hübsche, lebhafte Gesicht. Jetzt trug es nicht mehr den Ausdruck tragischer Energie, sondern schien ärgerlich und verdrossen. »Meine Tochter Sheila.« Das also war Sheila Perenna.
Tuppence murmelte ein paar verbindliche Worte und ging ins Esszimmer. Drei Personen saßen beim Frühstück: Mrs Sprot mit ihrem Töchterchen und die riesenhafte Mrs O’Rourke. Tuppence sagte: »Guten Morgen«, und Mrs O’Rourke antwortete: »Einen schönen guten Morgen wünsche ich Ihnen!« In ihrem herzlichen Dröhnen versank Mrs Sprots dünnstimmige Begrüßung ungehört.
Die alte Frau starrte Tuppence mit verzehrendem Interesse an.
»Ein Spaziergang vor dem Frühstück ist etwas Großartiges«, bemerkte sie, »das allerbeste für den Appetit.«
Mrs Sprot redete ihrem Sprössling gut zu: »Ei, was für ein gutes Brot, was für eine feine Milch, Darling«, und sie bemühte sich, einen Löffel in Miss Betty Sprots Mäulchen zu schieben. Betty vereitelte diese Bemühung durch eine geschickte Kopfwendung und starrte Tuppence an.
Mit ihrem milchbeschmierten Fingerchen deutete sie auf die Neuangekommene, lächelte sie strahlend an und plapperte: »Ta-ta, dute Tata.«
»Sie mag Sie gern«, rief Mrs Sprot beglückt, als verkünde sie Tuppence eine große Gnade, »manchmal ist sie gegen Fremde so scheu.«
»Tata bums«, sagte Betty Sprot. »Bums bums buh«, fügte sie begeistert hinzu.
»Was meint sie nur damit?«, fragte Mrs O’Rourke interessiert.
»Sie kann noch nicht richtig reden«, bekannte Mrs Sprot. »Wissen Sie, sie ist ja noch nicht einmal zwei Jahre alt. Meist plappert sie in ihrer eigenen Sprache. Aber Mama kann sie schon sagen, nicht wahr, Darling?«
Betty blickte ihre Mutter nachdenklich an und bemerkte dann energisch und abschließend: »Guckuck dada.«
»Diese kleinen Engelchen machen sich immer ihre eigene Sprache zurecht«, sagte Mrs O’Rourke strahlend. »Bettychen, nun sag mal Mama.«
Betty sah Mrs O’Rourke lange an, runzelte dann die Stirn und erklärte mit heftigem Nachdruck: »We-we-buuh.«
»Nein, wie hübsch sie schon spricht! So ein süßes, kleines Geschöpf.«
Mrs O’Rourke stand auf, lächelte Betty mit beängstigender Zärtlichkeit zu und watschelte schweren Schrittes aus dem Zimmer.
»Ga-ga-ga«, krähte Betty begeistert und schlug mit dem Löffel auf den Tisch.
Tuppence zwinkerte Mrs Sprot zu.
»Und was soll ›we-we-buuh‹ wirklich heißen?«, fragte sie.
Errötend antwortete Mrs Sprot.
»Ja, wissen Sie… also das sagt sie immer, wenn sie irgendwas oder irgendwen nicht leiden kann.«
»Das dachte ich mir«, sagte Tuppence.
Beide Frauen lachten.
»Mrs O’Rourke meint es ja so gut«, sagte Mrs Sprot, »aber das Kind fürchtet sich vor ihr. Die tiefe Stimme… der Schnurrbart…«
Betty legte den Kopf auf die Schulter und gurrte Tuppence an. »Sehen Sie nur, wie gern sie Sie hat«, sagte Mrs Sprot, aber es schien Tuppence, als klänge eine leise, frostige Eifersucht aus ihrer Stimme. Rasch wollte sie den Eindruck verwischen.
»Kinder freuen sich doch immer, wenn sie ein neues Gesicht sehen«, beschwichtigte sie.
Die Tür öffnete sich, und Major Bletchley und Tommy traten ein. Sofort legte Tuppence ein schelmisches Gebaren an den Tag.
»Ach, Mr
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