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Rotkäppchen und der böse Wolf

Rotkäppchen und der böse Wolf

Titel: Rotkäppchen und der böse Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Ihrer Meinung, Meadowes. Frauen sind recht nett, wo sie hingehören, aber nicht vor dem Frühstück.« Er lachte glucksend. »Vorsicht geboten, alter Freund. Sie ist Witwe.«
    »Ach, wirklich?«
    Der Major stieß Tommy vergnügt in die Rippen.
    »Wir wissen ja, was das bedeutet. Witwen – die Sorte kennen wir! Zwei Männer hat sie begraben, und wenn ich mich nicht irre, hält sie jetzt nach dem dritten Ausschau. Augen auf und Vorsicht, Meadowes, Vorsicht, wenn ich Ihnen raten darf.«
    In bester Laune schwenkte der Major am Ende der Promenade um und eilte in scharfem Marschtempo Richtung Frühstück.
     
    Inzwischen hatte Tuppence langsam ihren Spaziergang fortgesetzt und war ganz dicht an dem Gartenzaun und dem plaudernden jungen Paar vorbeigegangen. Sie fing ein paar Worte des Gesprächs auf. Das junge Mädchen sagte gerade: »Aber du musst furchtbar vorsichtig sein, Carl. Schon der leiseste Verdacht…« Dann war Tuppence außer Hörweite. Waren diese Worte nicht verdächtig? Ja, aber ebenso gut konnten sie ganz harmlos sein. Unauffällig ging sie noch einmal an den beiden vorbei. Wieder hörte sie ein paar Worte.
    »Aufgeblasene, ekelhafte Engländer…«
    Mrs Blenkensop hob leicht die Augenbrauen. Carl von Deinim war Flüchtling, von den Nazis verfolgt, und England hatte ihn aufgenommen, ihm Schutz und Unterkunft gewährt. Es war weder klug noch dankbar von ihm, solche Worte anzuhören, ohne zu widersprechen.
    Tuppence kehrte nochmals um. Aber bevor sie den Zaun wieder erreichte, hatte sich das Paar plötzlich getrennt; das Mädchen ging quer über die Straße, landeinwärts; Carl von Deinim kam Tuppence entgegen.
    Er hätte sie vermutlich nicht erkannt, wenn sie nicht leicht zögernd stehen geblieben wäre. Dann verneigte er sich.
    Tuppence zwitscherte ihm zu: »Guten Morgen, Mr von Deinim. Was für ein herrlicher Tag!«
    »Ja, das Wetter ist schön.«
    Sie redete aufgekratzt weiter.
    »Es war wirklich eine Versuchung für mich. Sonst gehe ich nicht oft vor dem Frühstück aus. Aber heute Morgen – ich hatte nicht gut geschlafen – ich schlafe meist nicht sehr gut, wenn ich auswärts bin. Ein paar Tage muss ich mich immer erst eingewöhnen.«
    »Ja, zweifellos ist das so.«
    »Aber der kleine Spaziergang hat mir richtig Appetit fürs Frühstück gemacht.«
    »Gehen Sie in die Pension zurück? Wenn Sie erlauben, begleite ich Sie.«
    Er ging mit finsterem Gesicht an ihrer Seite.
    »Gehen Sie auch spazieren, um sich Appetit zu holen?«, fragte Tuppence.
    Er schüttelte entschieden den Kopf.
    »O nein, ich habe schon gefrühstückt. Ich bin auf dem Weg zur Arbeit.«
    »Arbeit?«
    »Ich bin Chemiker.«
    Oho, dachte Tuppence und blickte ihn rasch und aufmerksam an.
    »Ich kam in dieses Land, um der Nazi-Verfolgung zu entgehen«, fuhr Carl von Deinim mit tonloser Stimme fort. »Ich hatte sehr wenig Geld – keine Freunde. Jetzt versuche ich, etwas Nützliches zu tun – so gut ich kann.«
    Er starrte vor sich hin. Tuppence spürte, dass er innerlich sehr erregt war. Sie murmelte undeutlich: »Gewiss, gewiss, ich verstehe.«
    »Meine beiden Brüder im Konzentrationslager«, sagte Carl von Deinim. »Mein Vater im Lager umgekommen. Meine Mutter gestorben vor Gram und Kummer…«
    Wie er das sagt, dachte Tuppence bei sich, als hätte er es auswendig gelernt.
    Wieder sah sie ihn rasch und verstohlen an. Er starrte immer noch mit unbeweglichem Gesicht vor sich hin.
    Sie gingen schweigend weiter. Zwei Männer kamen vorbei. Einer von ihnen warf einen flüchtigen Blick auf Carl und murmelte dann dem anderen zu: »Du, das ist doch sicher ein Deutscher. Wetten?«
    Tuppence sah das Blut in Carl von Deinims Wangen steigen. Plötzlich verließ ihn die Selbstbeherrschung. Seine unterdrückte Erregung brach sich Bahn.
    »Haben Sie… haben Sie das gehört?«, stieß er hervor. »Ich… ich…«
    »Lieber Junge…« Mrs Blenkensop war plötzlich ganz die echte Tuppence. Ihre Stimme klang frisch und überzeugend. »Seien Sie doch nicht albern. Sie können doch nicht alles auf einmal haben.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie sind nun mal ein Flüchtling. Also müssen Sie manches in Kauf nehmen. Sie haben Ihr Leben gerettet, das ist die Hauptsache. Sie leben und sind frei. Alles andere – machen Sie sich das doch klar – ist unvermeidlich. Dieses Land ist im Krieg, und Sie sind Deutscher.« Sie lächelte. »Sie können doch nicht verlangen, dass der einfache Mann zwischen guten und schlechten Deutschen unterscheidet.«
    Noch immer

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