Rotkäppchen und der böse Wolf
wenn er es zuerst mit etwas Bekanntem versuchte?
»Wärst du das einzige Mädchen auf Erden und ich der einzige Bursch…«
Albert blieb stehen und betrachtete das saubere, weißgestrichene Gartentor vom »Schmugglernest«, dort also hatte der Chef zu Abend gegessen.
Er machte noch ein paar Schritte hügelan und kam zu den Dünen.
Hier gab es nur Gras und ein paar Schafe. Nein, da war nichts. Das Gartentor vom »Schmugglernest« flog auf. Ein Auto kam heraus. Ein großer Herr im Sportanzug und mit Golfschlägern fuhr den Hügel hinab.
Das musste wohl Commander Haydock gewesen sein, überlegte Albert. Er ging zurück und starrte wieder durchs Tor. Nettes Grundstück. Alles so gut gehalten. Prachtgarten. Und die Aussicht!
Er sah das Haus wohlgefällig an. »Gar schöne Dinge würd’ ich dir sagen«, pfiff er.
Durch eine Seitentür des Hauses kam ein Mann mit einer Hacke, der durch ein Pförtchen verschwand.
Albert zog in seinem Garten daheim Kapuzinerkresse und ein bisschen Salat. Der Garten interessierte ihn mächtig.
Er schlenderte langsam näher und trat durch das offene Gartentor. Wirklich, alles so ordentlich und tadellos.
Er ging ein wenig herum. Ein paar Stufen führten abwärts zu einem Plateau, auf dem ein Gemüsegarten angelegt war. Dort unten arbeitete der Mann, den Albert aus dem Hause hatte kommen sehen.
Er sah ihm ein paar Minuten interessiert zu. Dann betrachtete er das Haus.
Wirklich nett und anheimelnd, dachte er zum dritten Mal. Feines Ruheplätzchen für so einen Gentleman von der Marine. Da hatte also der Chef neulich zu Abend gegessen.
Albert ging um das Haus herum. Er starrte es an, wie er den Gartenzaun der Pension angestarrt hatte, als müsste es ihm etwas verraten.
»Gar schöne Dinge könnten wir tun«, pfiff er. »Gar schöne Dinge würd’ ich dir sagen; gar schöne Dinge könnten wir tun…« Hatte er da nicht einen falschen Ton erwischt?
Hallo, komische Sache! Der Commander hielt sich Schweine? Dieses lang gezogene Grunzen. Komisch – fast als ob jemand da unten wäre. Wer hielt denn Schweine im Keller?
Unsinn, keine Schweine. Da machte einer ein Nickerchen. War im Keller eingeduselt…
Na? War ja ein heißer Tag, aber im Keller…? Albert pfiff wie ein Dompfaff und schob sich näher.
Von dort kam das Geräusch, von dem kleinen Gitter. Kr-kr-kr chchchch chchchch chchch kr-kr-kr. Komische Schnarcherei.
Das erinnerte ihn doch an etwas…
»Nun sieh einer«, sagte Albert vor sich hin. »Jetzt hab ich’s. SOS – das ist es. Punkt, Punkt, Punkt – Strich, Strich, Strich – Punkt, Punkt, Punkt…«
Er warf einen schnellen verstohlenen Blick um sich.
Dann kniete er nieder und klopfte leise eine Nachricht an das Eisengitter des Kellerfensters.
13
B eim Schlafengehen war Tuppence noch recht optimistisch gestimmt gewesen, aber als sie in der Morgendämmerung erwachte, zu dieser Stunde, in der alle bösen Geister der Depression über den Menschen herfallen, erlitt ihre Stimmung einen schweren Rückschlag.
Nun aber, als sie zum Frühstück ins Esszimmer kam, sah sie einen Brief auf ihrem Teller liegen, in sorgfältig verstellter Handschrift adressiert, und sogleich hoben sich ihre Lebensgeister wieder.
Das war keine Nachricht von Douglas, Raymond oder Cyril, keine der anderen bestellten Korrespondenzen, die pünktlich eintrafen. Heute Früh lag außerdem eine Karte mit einem Teddybär dabei, lustig und sehr bunt, auf der gekritzelt stand: »Entschuldige, dass ich nicht eher geschrieben habe, alles in Ordnung, Maudie.«
Tuppence schob sie beiseite und öffnete den Brief.
Liebe Patricia,
leider geht es Tante Gracy heute ziemlich schlecht. Die Arzte s a gen nicht geradezu, dass das Ende naht, aber meiner Meinung nach besteht für sie nicht mehr viel Hoffnung. Wenn du sie noch einmal sehen willst, so müsstest du heute kommen. Nimm den Zug um 10 Uhr 20 nach Yarrow, dort wird dich ein Freund des Hauses mit seinem Wagen abholen. – Ich freue mich, dich zu s e hen, liebe Patricia, obschon der Anlass so traurig ist.
Deine
Penelope
Fast hätte Tuppence laut herausgejubelt. Gute, alte Penny Plain.
Immerhin gelang es ihr mit einiger Anstrengung, eine offizielle Trauermiene aufzusetzen; mit einem tiefen Seufzer legte sie den Brief aus der Hand.
Mrs O’Rourke und Miss Minton waren beim Frühstück. Ihnen teilte Tuppence den Inhalt des Briefes mit, berichtete ausführlich über Tante Gracy, dass sie geistig frisch gewesen sei, ganz ohne Angst vor
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