Rotkäppchens Rache
entschieden, mehr zu sein.«
»Du hast dich dazu entschieden, eine Killerin zu sein. Wie viele Leute hast du umgebracht?«
»Diesen Monat?« Roudette warf Talia einen Blick zu. »Ich töte Elfen. Ich hätte gedacht, du würdest das verstehen.«
»Du tötest jeden, wenn der Preis stimmt.« Talia hob die Arme. »Die Narbe habe ich von deinem Mordversuch an Königin Beatrice.«
Roudette lächelte. »Ein fabelhafter Kampf war das.«
»Du hättest eine gute Frau ermordet.«
»Was hast du nach meinem Anschlag auf Beatrice gemacht?« Roudette wartete die Antwort nicht ab. »Du hast eure magischen Schutzvorkehrungen verstärkt. Du hast mehr Wachen auf den Mauern postiert. Du hast euch vorbereitet. Das ist mein Dienst: Ich habe euch stärker gemacht. Ihr pflegtet eure Zeit mit dem Bemühen zu verbringen, die Schwachen zu verteidigen, ihnen ein Gefühl der Sicherheit zu geben in einer Welt, die darauf aus ist, sie zu verschlingen. Ich erinnere die Schwachen daran, sich selbst zu beschützen.«
»Ist es das, was deine Großmutter wollte, als sie dir dieses Fell gab?«, fragte Talia.
»Großmutter dachte wie du und deine Freundinnen«, sagte Roudette und wandte sich ab. »Sie hat gekämpft, um uns zu beschützen. Als Folge davon legten sich meine Leute hin wie die Schafe, um sich von der Wilden Jagd abschlachten zu lassen. Genau wie deine es tun werden.«
»Wir werden sehen.« Talia öffnete und schloss die Hände, ließ die Finger spielen und probierte noch einmal, wie leicht sie sich befreien und an ihre Waffen kommen konnte: das Eisenmesser, das sie gegen Zestan einsetzen wollte, und das zweite, kleinere, das in ihrem Gewand versteckt war für den Fall, dass sie versagen sollte. Falls die erste Klinge Zestan nicht tötete, würde die zweite dafür sorgen, dass Talia nicht gegen Arathea verwendet werden konnte. Der Elfenfluch würde nicht funktionieren, wenn Talia tot wäre.
Das Erste, was von den Elfen zu sehen war, war ein schwaches Licht, wie von einem übergroßen, gelben Glühwurm - ein Irrwisch. Als das Licht näher kam, erkannte Talia, dass mehrere der Wesen in einem Verband flogen.
»Nicht anstarren!«, warnte Roudette sie. »Sie versetzen einen in Trance, wenn man zu lange hinsieht!«
Die Irrwische flitzten über die Wüste, schwirrten herum wie beseelte Fackellichter. Sie bewegten sich völlig lautlos, als sie sich in zwei Gruppen aufteilten und Talia und Roudette umzingelten.
Roudette knurrte und schlug mit der Faust nach einem, der zu nahe herankam. Ein anderer tanzte um Talias Kopf herum. Irrwische waren wenig vernunftbegabt, ungefähr so gescheit wie ein durchschnittlicher Hund. Der hier schien zu dem Schluss gekommen zu sein, dass Talia weniger gefährlich als ihre Gefährtin war, und achtete geflissentlich darauf, jene zwischen sich und dieser zu halten.
Mit einem Lächeln ließ Talia ein Bein vorschnellen und verpasste ihm einen Tritt, der ihn nach hinten schleuderte. Kichernd beobachtete Roudette, wie er mit flackerndem Licht auf dem Sand aufschlug. Langsam erhob er sich wieder in die Luft.
Danach hielten die Irrwische größeren Abstand.
Talia betrachtete ihren Fuß. Bei dem Tritt hatte ihre Sandale sich mit leuchtendem gelben Puder überzogen, das so fein wie Blütenstaub war. Sie zog den Fuß durch den Sand, um das Ärgste abzuwischen.
Als Nächstes kamen die Hunde. Ihr Geheul wurde über die Wüste herangetragen, sodass es klang, als näherten sie sich von allen Seiten.
Roudette packte das Seil, das zu Talias Hals lief, fester. Mit der rechten Hand zog sie ein zweischneidiges Eisenmesser, so lang und dick, dass es praktisch ein Schwert war.
»Noch sind wir nicht handelseinig.« Roudette legte Talia die Messerschneide an den Hals. »Sie versuchen vielleicht, dich gewaltsam zu holen. Was auch geschieht, bleib ruhig!«
Talia zwang sich dazu, sich nicht zu bewegen. Schnees Fluch würde es Roudette nicht erlauben, sie zu töten, egal wie sie auch damit drohte. »Ruhig? Selbst wenn das hier funktioniert - selbst wenn wir Zestan töten und die Kha’iida zu ihrem Versteck führen, damit sie ihre Diener vernichten -, ist es unwahrscheinlich, dass wir noch einen weiteren Sonnenaufgang zu sehen bekommen.«
»Du warst mit dem Plan einverstanden«, rief Roudette ihr in Erinnerung.
»Das heißt nicht, dass er mir gefallen muss.«
Roudette lachte leise. »Ich habe mich für meinen Weg entschieden, als ich den Wolf angelegt habe. Großmutters Tod zeigte mir, wo dieser Weg letzten Endes hinführen
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