Rotkäppchens Rache
ist, dann sind eure Überlebenschancen gering. Die Stärke eines Deev kann Berge spalten. Ihr Zorn lässt die Erde selbst erbeben. Ihre Haut ist wie Stein, ihre -«
»Ihre Blähungen raffen ganze Herden dahin«, sagte Talia. »Ja, ja, ich weiß. Ich habe von den Deev erfahren, bevor dein Großvater geboren wurde.«
Muhazil brach in Gelächter aus. »Das stimmt!« Er warf einen Blick gen Süden. »Ich hoffe, du irrst dich mit Zestan, Prinzessin. Um deinetwillen und um Aratheas willen.«
Kapitel 19
»Du bleibst hier!« Talias Ton ließ keinen Raum für Diskussionen. Selbstverständlich diskutierte Danielle trotzdem.
»Schnee nimmst du mit, aber mich willst du zurücklassen?«
»Ich würde Schnee auch hierlassen, wenn ich könnte.« Talia und Danielle standen am Rand des Teiches, wo Talia einen kleinen Schlauch gefüllt hatte. Auch wenn sie wusste, dass die Elfen kamen, um sie zu holen, waren die Angewohnheiten der Wüstenbewohner zu tief verwurzelt, als dass sie ohne Wasser aufgebrochen wäre.
Sie hätte wissen müssen, dass die Unterhaltung so verlaufen würde. Sie hätte Danielle einfach in dem Moment k. o. schlagen sollen, als sie angefangen hatte, darüber zu sprechen, dass sie mitkommen wolle. Andererseits war es noch nicht zu spät, diesen Fehler zu korrigieren. »Ohne Schnees Magie haben wir keine Möglichkeit, Turz zu Zestan zu führen. Wenigstens behauptet sie das.«
»Dann soll ich also zurückbleiben, unter Fremden, die nicht mal meine Sprache verstehen, während meine zwei besten Freundinnen losziehen, um -«
»Genau.« Talia ergriff Danielle an den Schultern. »Du hast einen Sohn, der dich braucht. Lorindar braucht dich! Was würde Beatrice sagen, wenn sie wüsste, was du vorhast?«
»Ich habe bereits mit Königin Bea gesprochen«, antwortete Danielle gelassen. »Ich habe auch mit Armand und Jakob gesprochen.« Sie deutete auf den Beutel an Talias Gürtel. »Schnee ist schon da drin, nehme ich an?«
Widerstrebend öffnete Talia den Beutel, sodass Schnee herausgucken konnte. Mit ihrem rotblonden Fell und dem langen Quastenschwanz gab sie eine niedliche Maus ab.
»Was wird aus ihr, wenn etwas schiefgeht?«, fragte Danielle.
»Wir alle wissen, worauf wir uns einlassen.« Rasch und unbeholfen zog Talia Danielle zu sich heran und drückte sie an sich, wobei sie darauf achtete, dass Schnee nicht zwischen ihnen zerquetscht wurde. Sie war jetzt schon beinah zwei Jahre mit Danielle befreundet, aber bei Umarmungen fühlte sie sich immer noch nicht ganz wohl. »Es tut mir leid. Ich weiß, wie hart es ist, zurückgelassen zu werden. Du und Schnee hätten nie in diese Sache hineingezogen werden dürfen. Verlange nicht von mir, dein Leben auch noch aufs Spiel zu setzen.«
»Das verlange ich ja gar nicht.« Danielle erwiderte die Umarmung, dann löste sie sich von Talia. »Wenn du getötet wirst, sitzt Schnee in der Falle. Sie kann keine Magie benutzen, um sich zurückzuverwandeln, ohne zu riskieren, entdeckt zu werden. Aber keinem würde ein Falke oder ein Habicht auffallen, der hinabstößt, um sich eine Maus zu schnappen. Oder zwei Mäuse. Ich kann sie rausschaffen, wenn etwas schiefläuft. Wenn du mich zurücklässt, verurteilst du Schnee dazu, mit dir zu sterben.«
Es war das Totschlagargument, und Danielle brachte es so gelassen an wie ein Meisterschwertkämpfer den Paradeschlag, mit dem er einen Gegner ins Jenseits befördert. Sie war keinen Deut besser als Königin Bea. »Du bleibst versteckt! Tu nichts, außer wenn du Schnee und dich selbst retten musst! Wenn ich falle, verlasst ihr mich! Keine Rettung! Kein aberwitziger Versuch, ein Gazellenrudel gegen die Wilde Jagd aufzubringen! Du rufst deinen Falken, und ihr flieht, schafft euch raus aus Arathea. Versprich mir das, Danielle!«
»Ich verspreche es.«
Talia seufzte. »Schnee, wir brauchen noch einen Zauber.« Wenig später war sie zum Rand des Lagers unterwegs, und eine zweite Maus wand sich in ihrem Beutel. Kurz zog sie in Betracht, den Beutel zuzubinden und beide zurückzulassen. Sie wären besser dran, auch wenn sie ihr nie verzeihen würden. Aber falls Schnee die Wahrheit sagte, dann brauchte Talia sie. Und wenn Danielle Schnee retten konnte …
»Zum Teufel mit euch beiden!«, murmelte sie.
Weiter vorn stand Faziya und sprach mit Roudette. Als Talia sich näherte, warf Roudette ihr ein Stück Seil zu.
»Faziya soll dir die Handgelenke zusammenbinden. Lasst euch nicht zu lange Zeit!« Roudette wandte sich bereits um und ging los.
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