Rotkäppchens Rache
gibt nichts, was Zestans Magie nicht heilen kann. Du stehst jetzt in Zestans Schuld, Rotkäppchen. Wenn ich auch nicht glaube, das dir das irgendetwas bedeutet.«
Roudette stemmte sich auf Hände und Knie hoch. »Ich habe genau das getan, was ich gesagt habe, Nagesh: Ich habe dir Dornröschen ausgeliefert.«
»Und du sollst die Belohnung bekommen, die dir versprochen wurde.«
Talia wandte Roudette das Gesicht zu, und ihr eigenes Blut wurde kalt, als sie die Wahrheit erkannte. »Du hast nie für Lakhim gearbeitet! Du arbeitest für Zestan!«
Roudette sagte nichts.
»Ich hätte dich in dem Augenblick töten sollen, als wir in Arathea ankamen!«
»Ja, das hättest du.« Roudette stand auf und nahm ihr Messer wieder an sich. »Erinnere dich an diese Lektion, wenn du in weiteren hundert Jahren wieder aufwachst.«
Kapitel 20
Roudette schluckte und versuchte, die Begierde des Wolfs zu unterdrücken. Sie hielt Talias Strick am Knoten fest; ihre Knöchel gruben sich in Talias Nacken. Das Messer in der anderen Hand, zwang sie Talia, vorwärtszumarschieren.
Die Luft stank nach Elfenmagie. Die Jäger hielten Abstand und schnitten jeden Fluchtweg ab, schenkten ansonsten Roudette und Talia jedoch wenig Beachtung. Nagesh ging voraus, selbstbewusst wie eine Königin.
Sie wusste, dass Talia auf den richtigen Moment wartete, um sich loszureißen und anzugreifen. Roudette würde ihr erstes Ziel sein. Talia würde kämpfen in der Hoffnung, entweder Roudette für ihren Verrat zu töten oder aber Roudette zu zwingen, sie selbst zu töten und so Zestan ihres Siegerpreises zu berauben. Roudette packte das Seil fester und sorgte, so gut sie konnte, dafür, dass Talia ständig aus dem Gleichgewicht war.
Roudette war sich nicht sicher, wer einen solchen Kampf gewinnen würde, nicht nachdem ihr Körper von innen heraus verbrannt worden war. Am schlimmsten war der Schmerz in ihrer Schulter gewesen, aber das Feuer hatte sich schnell in ihrem ganzen Körper ausgebreitet. Noch immer bohrten sich Schmerzen mit jedem Herzschlag durch ihre Brust, sodass es sich anfühlte, als wäre sie niedergestochen worden. Nagesh hatte den Fluch beendet, doch den Schaden, den er da bereits angerichtet hatte, konnte sie nicht rückgängig machen.
Als sie sich dem Schloss näherten, konnte Roudette das Ausmaß der Zerstörungen erkennen, die durch die Hecke verursacht worden waren. Kutschengroße Steinblöcke lagen geborsten da, zerlegt von nunmehr toten Kletterpflanzen. Im Westen war ein ganzer Turm eingestürzt. Ein einsamer Windfänger summte in der Brise; seine Klappen waren längst abgebrochen. Herabgefallenes Mauerwerk lag halb verschüttet im Sand.
Schmerzen schossen durch Roudettes Fuß, als ob sie auf Glasscherben getreten wäre. Sie zerrte Talia zurück. »Was ist das?«
Eine Linie aus Stein durchschnitt die Erde vor ihnen. Es schien sich um die Ruinen einer Mauer zu handeln, zerfallen bis aufs bloße Fundament. Obwohl nur noch ein oder zwei Steine hoch, erstreckte sich die Linie ohne Unterbrechung in beide Richtungen und umgab das Schloss.
»Eine einfache Grenzmauer«, sagte Nagesh und schritt über die Steine hinweg. »Elfenmagie, um ungebetene Besucher draußen zu halten. Du hast mein Wort, dass sie dir nicht schaden wird.«
Roudette schob Talia nach vorn und ließ sie als Erste hinübergehen, um sich zu vergewissern, dass nichts passierte. Es gab zu viel, was nicht unter die exakte Bedeutung von ›schaden‹ fallen mochte. Sie hoffte, ihr Umhang würde sie beschützen.
Talia schien unversehrt. Roudette nahm ihren Mut zusammen und trat über die Mauer. Sie verzog das Gesicht, als der Schmerz sie durchfuhr. Dank des Umhangs reagierte ihr Körper auf Elfenmagie genauso, wie manche Elfen auf Eisen reagierten. Als sie um sich blickte, war der Schmerz jedoch schnell vergessen.
Innerhalb der Grenzen dieser Mauer lag eine andere Welt, eine Elfenwelt. Der Mond hatte an Größe um das Dreifache zugenommen; sein Licht verwandelte den Sand in silbernen Staub. Auch die Ruinen des Schlosses hatten sich verändert, als hätte eine gigantische Spinne ein Netz aus grünem Kristall über die noch verbliebenen Mauern und Türme gesponnen.
Roudette packte Talia fester, als eine kleine Armee sich aus dem nächstgelegenen Turm ergoss. Der Gestank des Todes offenbarte, dass es sich nicht um Elfenkrieger, sondern um die Geister Verstorbener handelte. Hier, innerhalb der Grenzen der Elfenmauer, wirkten diese Männer so real wie Roudette oder Talia, als ob
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