Rotkäppchens Rache
violetten Kasack gekleidet, der ihre Gestalt umschmiegte, einen Körper, der weder männlich noch weiblich zu sein schien. An Zestans Rücken prangten braun befiederte Flügel, die so breit waren, dass sie damit an die Wände gestoßen wäre, wenn sie sie voll ausgebreitet hätte.
Sie - er - war wunderschön. Zu schön. Ihr Gesicht war zu perfekt, ihr Körper ohne einen einzigen Makel. Sie wirkte weniger wie ein atmendes Wesen aus Fleisch und Blut als wie das Meisterwerk eines Künstlers, das zum Leben erwacht war.
In Zestans Lächeln lag echte Wärme. »Ich habe auch für dich Pläne, Roudette. Die Wilde Jagd -«
Roudette packte den Pfeil in ihrer Seite. »Ehe ich mich von dir in eine von ihnen verwandeln lasse, bringe ich mich um!«
»Nur zu!« Zestans Lächeln blieb unverändert. »Tot oder lebendig macht keinen Unterschied für die Jagd, aber das habe ich nicht gemeint. Die Wilde Jagd wurde von geringeren Elfen erschaffen und hat deshalb ihre Mängel. Beschränkt auf die Dunkelheit, belastet durch die letzten Reste ihrer Menschlichkeit. Schon bald werden sie mir nicht mehr von Nutzen sein. Ich würde dich zur Ersten einer neuen Jagd machen: eine Schar, gebildet durch Peri-Magie. Engel, vollkommen und ohne Beschränkungen.«
»Dann waren die Geschichten also falsch«, sagte Roudette. »Es sind gar nicht die Deev, die diese Welt erobern und zerstören wollen: Du warst es!«
»Oh, nein! Die Deev sind böse, brutale Geschöpfe. Stark und grausam. In vielerlei Hinsicht wie du selbst.«
Roudette ertappte sich dabei, sich zu entspannen, eingelullt von der Sanftheit in Zestans Stimme. Sie drehte den Pfeil herum und machte sich die Schmerzen zunutze, um sich zu konzentrieren.
»Wir beschützten dieses Land«, sagte Zestan. »Wir retteten die Menschen vor den Deev. Wir kämpften und wir starben, alles in der Hoffnung, dass die Menschen wachsen und sich erlösen und dadurch auch Erlösung für uns erlangen würden.«
»Du klingst wie ein Prediger!« Die Worte waren dieselben, die ihr Vater gesagt hatte, aber nie hatten derartiger Kummer und Schmerz in seiner Stimme gelegen.
»Wir wurden für unsere Feigheit aus dem Himmel verstoßen.« Zestans Flügel zitterten. »Verbannt auf diese Welt wegen unseres Versagens, im Aufstand zu kämpfen, und dazu verurteilt, über eure Rasse zu wachen und sie zu beschützen, bis wir Vergebung erhalten. Erst dann werden wir zu Hause wieder willkommen sein.«
Roudette hatte Varianten dieser Lüge von der Elfenkirche gehört, seit sie ein Kind gewesen war. »Das glaubst du wirklich?«
»Nicht mehr.« Zestan lächelte nicht länger, und ihre Worte ließen Roudette frösteln. »Wir haben diese Welt gerettet. Weiß du, wie viele unserer Art im Kampf gegen die Deev gestorben sind? Wie viele von uns gefoltert und verstümmelt wurden, eingesperrt in Käfigen und dem Dahindämmern ins Nichts überlassen? Wir gaben euch Freiheit!«
»Ich dachte, es seien Menschen gewesen, die gegen die Deev gekämpft haben«, sagte Roudette.
»Ausgestattet mit unserer Macht!« Zestans Flügel klappten plötzlich auf und falteten sich dann wie ein gefiederter Umhang langsam wieder hinter ihr zusammen. »All diese Jahre haben wir versucht, euch zu leiten, bis uns, einen nach dem andern, die Verzweiflung übermannte und wir uns in unsere Berge zurückzogen, um zu schlafen. Ich habe versucht, sie wachzurütteln, aber der Verlust der Hoffnung ist ein Fluch, der genauso mächtig ist wie jener, der Dornröschen getroffen hat. Sie ziehen es vor, zu schlafen, bis die Menschheit Frieden findet oder diese Welt ihr Ende. Möchtest du wetten, was zuerst passiert?«
»Du bist allein?« Roudette versuchte, sich die Hoffnung nicht anhören zu lassen. Eine einzige Peri konnte nicht gegen ganz Arathea kämpfen! Sobald das Volk die Wahrheit erführe, konnte es sie vielleicht immer noch vernichten.
»Ich bin müde.« Zestans Worte waren schlicht, aber die Verzweiflung, die darin lag, traf Roudette wie ein Schlag. »Wir werden niemals nach Hause zurückkehren. Wenn uns das Paradies versagt ist, dann werde ich dieses Land zum Paradies machen.«
Sie nahm das Zaraqgewicht von Nagesh und untersuchte es. »Ein Jahr lang haben Nagesh und ich daran gearbeitet, dieses Gift zu duplizieren.«
»Wieso?«, fragte Roudette mit echter Neugierde. »Du bist eine Peri. Ich glaubte immer, ihr bräuchtet nur mit der Hand zu winken, und dieses ganze Schloss zerfiele zu Staub. Warum macht ihr euch derartige Mühe?«
»Ich könnte Lakhim und
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