Rotkäppchens Rache
Ihrer Majestäten Erlaubnis?« Sie wartete auf das Nicken des Königs und fuhr dann fort: »Roudette erwartete von dir, irgendeinen Dienst zu verrichten, um ihr zu helfen. Was war es?«
»Ich sollte Talia identifizieren.«
»Du lügst!« Danielle sah ihre Stiefschwester scharf an. Subtiles Vorgehen oder das Verbergen ihrer Gefühle waren nie Charlottes hervorstechende Eigenschaften gewesen, aber zwei Jahre in Elfstadt hatten sie verändert. Während des Heranwachsens hatte Danielle schnell gelernt, die Launen ihrer Stiefschwestern zu deuten; zu wissen, wann sie die Hausarbeit schweigend zu erledigen hatte und wann sie ihnen um jeden Preis aus dem Weg gehen sollte.
Das hier war anders. Charlotte war verängstigt, aber auch resigniert. Die Frau, an die Danielle sich erinnerte, hätte geweint oder gebettelt oder gegen die Ungerechtigkeit des Ganzen gewettert. »Roudette hat schon einmal gegen Talia gekämpft«, sagte Danielle. »Sie hätte deine Hilfe nicht gebraucht, um sie zu identifizieren.«
Sie trat vom Podium herunter und stellte sich vor ihre Stiefschwester. Um Charlottes rote Augen lagen Schatten. Sie schien kurz davor, vor Erschöpfung ohnmächtig zu werden, aber ihr Gesichtsausdruck war flehend.
»Was haben sie dir angetan?«, flüsterte Danielle. Charlotte sagte nichts, sah nicht einmal hin, als Danielle sie umkreiste. »Lass dir von uns helfen.«
»Das könnt ihr nicht.« Charlotte putzte sich die Nase am Ärmel und zog dann hastig die Schulterpartie ihres Kleids wieder zurecht.
Hätte Danielle ihre Stiefschwester nicht so genau beobachtet, wäre es ihr entgangen. Sie streckte die Hand aus, und Charlotte versteifte sich. Danielle ergriff Charlottes zerrissenen Kragen und zog daran, bis ein verblasstes rotes Mal auf der Haut sichtbar wurde. »Vor zwei Jahren gaben Stacia und die Herzogin dir dieses Mal, um dich daran zu hindern, sie zu verraten.«
»Ja«, sagte Charlotte.
»Ich habe dieses Mal kleiner in Erinnerung.«
Charlotte zitterte, sagte jedoch weiter nichts. Falls sie durch ein Elfenmal gebunden worden war, würde sie nicht darüber sprechen können. Den Strafen dafür, eine solche Bindung zu brechen, waren nur durch den Einfallsreichtum desjenigen Grenzen gesetzt, der sie gewirkt hatte, und Elfen waren unerreicht, wenn es darum ging, neue grausame Foltern zu ersinnen.
»Wenn das nicht raffiniert ist!«, sagte Schnee, indem sie näher herantrat, um das Mal in Augenschein zu nehmen. Sie drückte mit dem Fingernagel auf den Rand. »Ein zweiter Fluch über den ersten gelegt, um ihn zu verbergen! Ich frage mich, ob dem ersten seine Magie noch innewohnt.«
»Kannst du es entfernen?«, fragte Beatrice.
»Das Mal oder das Schulterblatt?«
Charlotte wimmerte und wich zurück, bis Danielle sich zwischen ihr und Schnee befand.
»Entspann dich!«, sagte Schnee. »Auch wenn wir die Schulter abschneiden würden, wäre das keine Lösung. Das Mal ist nur das äußere Zeichen des Fluchs, der durch dein Blut strömt.« Sie gab Vater Isaac ein Zeichen, zu ihr zu kommen. »Was meint Ihr? Natürlich bräuchte ich Trittibars Hilfe.«
Zum ersten Mal spiegelte sich in Charlottes Miene Hoffnung wider. Sie griff nach Danielles Arm.
Talias Absatz krachte gegen Charlottes Brust und schleuderte sie zu Boden.
»Sie wollte mir nichts tun!« Danielle kauerte neben der nach Luft schnappenden Charlotte nieder.
»Würdest du dein Leben darauf verwetten?« Talias Miene ließ keinen Zweifel daran, dass sie Charlotte nur zu gern in den Boden stampfen würde, wenn sie auch nur zuckte.
Der König erhob sich. »Tut, was ihr könnt, um das Mal zu entfernen. Falls sie verflucht ist, können wir keinem Wort trauen, das sie sagt, bis dieser Fluch gebrochen ist.«
»Hat Roudette je erwähnt, wer sie angeheuert hat, um mich zu töten?« Talia hatte nicht um Erlaubnis gebeten zu sprechen, aber es war klar, dass König Theodore solche Umgehungen der Etikette von Beatrices engsten Dienerinnen und Gefährtinnen duldete. Kanzler Crombies Stirnrunzeln war das einzige erkennbare Zeichen der Missbilligung.
Charlotte schluckte. »Gestern Nachmittag. Sie war gerade zurückgekommen. Auf ihrem Umhang war frisches Blut und sie war guter Laune; sie bot mir sogar etwas zu essen an.« Sie wandte sich ab und verbarg das Gesicht. »Ich versprach ihr, jeden Preis zu zahlen, wenn sie mich freiließe.«
»Wo wolltest du das Geld herholen?«, fragte Danielle. Sie musste sich anstrengen, um Charlottes Antwort zu hören.
»Ich sagte ihr, du
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