Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
versuchte, verständnisvoll zu wirken.
    »Mag sein«, erwiderte sie. Warum war er jetzt in ihr Büro gekommen, das tat er doch sonst nie?
    »Die Schicht ist um, Gjelten.« Er warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Sie zeigte zehn Uhr. »Ich hab meinen Wagen hier. Komm, ich bring dich nach Hause.«
    »Danke, aber ich muss noch mal telefonieren. Fahr ruhig schon.« »Privatgespräch?«
    »Nein, das ist nur …«
    »Dann warte ich hier.«
    Waaler ließ sich in Harrys alten Bürostuhl fallen, der vor Protest aufschrie. Ihre Blicke begegneten sich. Verdammt! Warum hatte sie nicht gesagt, es sei ein Privatgespräch? Jetzt war es zu spät. Begriff er, dass sie etwas bemerkt hatte? Sie versuchte, seinen Blick zu deuten, doch ihre besonderen Fähigkeiten schienen verloren gegangen zu sein, als die Panik von ihr Besitz ergriffen hatte. Panik? Sie wusste jetzt, warum sie sich in der Gesellschaft von Tom Waaler nie wohl gefühlt hatte. Das war nicht seine Gefühlskälte, seine Einstellung zu Frauen, Farbigen, Punks und Schwulen oder seine Vorliebe, wann immer es möglich und gestattet war, Gewalt anzuwenden. Aus dem Stegreif hätte sie zehn andere Polizeibeamte aufzählen können, die Tom Waaler in diesen Dingen kaum nachstanden; aber dennoch hatte sie immer irgendetwas Positives an ihnen gefunden, so dass sie mit ihnen ausgekommen war. Doch mit Tom Waaler war das anders, und jetzt wusste sie, warum: Sie hatte Angst vor ihm.
    »Ach«, sagte sie. »Das kann bis Montag warten.«
    »Gut.« Er stand wieder auf. »Dann gehen wir.«
    Waaler hatte einen dieser japanischen Sportwagen, die für Ellen wie billige Ferrarikopien aussahen. Er hatte Schalensitze, die Ellens Schultern zusammendrückten, und Lautsprecher, die das halbe Auto auszufüllen schienen. Der Motor brummte leise und das Licht der Straßenlaternen huschte durch das Coup& als sie den Trondheimsveien hochfuhren. Eine Falsettstimme, die sie mittlerweile kannte, tönte aus den Lautsprechern:
    … I only wanted to be some kind of a friend, I only wanted to see you bathing …
    Prince. Der Prinz.
    »Du kannst mich hier rauslassen«, sagte Ellen und zwang ihre Stimme, natürlich zu klingen.
    »Kommt gar nicht in Frage«, entgegnete Waaler und sah in den Spiegel. »Tür-zu-Tür-Service. Wohin musst du?«
    Sie widersetzte sich ihrem Drang, die Tür aufzureißen und einfach auszusteigen.
    »Hier nach links«, sagte Ellen und zeigte die Richtung an. Sei bitte zu Hause, Harry.
    »Jens Bjelkes Gate«, las Waaler laut auf dem Straßenschild an der Hauswand und bog ab.
    Die Straßenbeleuchtung war hier sparsamer und die Bürgersteige menschenleer. Aus den Augenwinkeln sah Ellen kleine Lichtquadrate über sein Gesicht huschen. Wusste er, dass sie es wusste? Und sah er, dass sie die Hand in der Tasche hatte und das schwarze Fläschchen mit dem Gasspray umklammerte, das sie in Deutschland gekauft und ihm im Herbst gezeigt hatte, als er behauptete, sie brächte sich selbst und ihre Kollegen in Gefahr, wenn sie keine Waffe trug? Und hatte er nicht diskret angedeutet, dass er ihr eine handliche, kleine Pistole besorgen könne, die sie überall am Körper verstecken könne und die zudem nicht registriert sei, so dass man nicht auf sie kommen würde, sollte ihr einmal ein »Unglück« widerfahren? Sie hatte sich damals nicht viel dabei gedacht, sondern das Ganze eher für einen seiner leicht makabren Macho-Sprüche gehalten und darüber gelacht.
    »Du kannst da vorne neben dem roten Auto halten.«
    »Aber Nummer vier kommt doch erst im nächsten Block«, wandte er ein.
    Hatte sie ihm erzählt, dass sie im Haus Nummer vier wohnte? Vielleicht. Vielleicht hatte sie das einfach vergessen. Sie fühlte sich durchsichtig, wie eine Qualle, so dass er ihr Herz sehen konnte, das viel zu schnell schlug.
    Der Motor surrte im Leerlauf. Er hatte angehalten. Sie suchte fieberhaft nach dem Türgriff. Verfluchte japanische Schnickschnack-Designer! Warum konnten sie nicht einfach einen simplen, verständlichen Türgriff bauen?
    »Dann sehen wir uns Montag«, hörte sie Waaler hinter sich sagen, als sie den Hebel fand, nach draußen taumelte und die giftige Februarluft von Oslo inhalierte, als wäre sie nach einem langen, kalten Aufenthalt unter Wasser endlich wieder an der Oberfläche. Das Letzte, was sie hörte, ehe die schwere Haustür hinter ihr ins Schloss fiel, war der glatte, ölige Laut von Waalers Auto, das noch immer im Leerlauf lief.
    Sie stürmte die Treppe hinauf, wobei sie die Stiefel hart auf

Weitere Kostenlose Bücher