Rotkehlchen
waren, dass er Even Juuls Frau fragen musste, ob sie sich an drei norwegische Soldaten aus dem Regiment Norge erinnerte, die von einer aus einem Flugzeug abgeworfenen Handgranate verwundet oder getötet worden waren, und dass er bei dem Sonderverkauf an Neujahr bei Dressman, den sie auf TV3 angekündigt hatten, hätte zuschlagen sollen. Doch ob ihm sein Job gefiel?
»Manchmal«, sagte er.
»Was gefällt dir am besten daran?«
»Ich weiß nicht. Hört sich das blöd an?«
»Ich weiß nicht.«
»Es ist nicht so, dass ich mir nicht schon Gedanken gemacht hätte, warum ich Polizist geworden bin. Ich habe darüber nachgedacht. Und ich weiß es nicht. Vielleicht gefällt es mir einfach, böse Buben und Mädchen zu jagen.«
»Und was tust du, wenn du nicht gerade Jagd auf böse Buben oder Mädchen machst?«, fragte sie.
»Mir Big Brother ansehen.«
Sie lachte wieder. Und Harry wusste, dass er bereit war, die idiotischsten Sachen zu sagen, wenn er sie so zum Lachen bringen konnte. Er riss sich zusammen und erzählte einigermaßen ernsthaft über seine derzeitige Lebenssituation, doch da er peinlich darauf bedacht war, die unangenehmen Sachen auszulassen, hatte er nicht viel zu sagen. Und schließlich, als sie noch immer interessiert schien, half er sich mit Vater und See weiter. Warum sprach er zu guter Letzt immer von See, wenn ihn jemand bat, von sich zu erzählen?
»Hört sich nach einem tollen Mädchen an«, sagte sie.
»Sie ist wundervoll«, stimmte Harry zu. »Und mutig. Hat nie vor irgendetwas Angst. Eine Testpilotin des Lebens.«
Harry erzählte von dem einen Mal, als sie per Telefon ein Gebot für eine Wohnung in der Jacob Aals Gate eingereicht hatte, weil sie ein Bild der Wohnung auf den Immobilienseiten der Aftenposten gesehen hatte. Die Tapete auf dem Bild hatte sie an ihr Kinderzimmer in Oppsal erinnert. Und für zwei Millionen Kronen hatte sie den Zuschlag bekommen, der Rekordpreis für den Quadratmeter in diesem Sommer in Oslo.
Rakel Fauke lachte derart, dass sie Tequila auf Harrys Anzugjacke schüttete.
»Aber das Beste an ihr ist, dass sie jedes Mal, wenn sie einen Crash macht, wieder aufsteht, sich den Dreck von den Kleidern bürstet und schnurstracks das nächste Selbstmordkommando angeht.«
Sie wischte das Revers seiner Jacke mit einem Taschentuch trocken.
»Und du, Harry, was tust du, wenn du einen Crash gemacht hast?« »Ich? Tja. Ich verhalte mich wohl eine Weile ruhig. Und dann rappel ich mich wieder auf, man hat ja keine Alternative.«
»Wie wahr«, sagte sie.
Er blickte rasch hoch, um zu sehen, ob sie sich über ihn lustig machte. Humor tanzte in ihren Augen. Sie strahlte Stärke aus, und er bezweifelte, dass sie viel Erfahrungen mit Crash-Landungen hatte.
»Jetzt ist es an dir, etwas zu erzählen«, sagte Harry.
Rakel hatte keine Schwester, auf die sie verweisen konnte. So erzählte sie von ihrer Arbeit.
»Aber wir fangen nur selten jemanden«, sagte sie. »Die meistenSachen klären sich im Einvernehmen am Telefon oder auf einer Cocktailparty in irgendeiner Botschaft.«
Harry grinste schief.
»Und wie wurde die Sache mit dem Secret-Service-Agenten, den ich niedergeschossen habe, geregelt?«, fragte er. »In einem Telefongespräch oder bei einer Cocktailparty?«
Sie sah ihn nachdenklich an, während sie ihre Hand in ihr Glas schob und einen Eiswürfel herausnahm. Sie hielt ihn zwischen zwei Fingern hoch. Ein Tropfen Schmelzwasser rann langsam an ihrem Handgelenk hinunter, unter einem dünnen Goldarmband hindurch und weiter in Richtung Ellenbogen.
»Tanzt du, Harry?«
»Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich mindestens zehn Minuten dafür verwendet zu erklären, wie sehr ich das hasse.«
Sie legte den Kopf wieder zur Seite.
»Ich meine – tanzt du mit mir?«
»Zu dieser Musik?«
Eine Panflötenversion von Let it be troff wie dicker Sirup aus den Lautsprechern.
»Du wirst es schon überleben. Betrachte das als Aufwärmprogramm für den großen Linda-Test.«
Sie legte ihre Hand leicht auf seine Schulter.
»Ist das ein Flirt?«, fragte Harry.
»Wie bitte, Herr Kommissionsleiter?«
»Es tut mir Leid, aber ich bin bei diesen versteckten Signalen so schwerfällig, und deshalb habe ich gefragt, ob das ein Flirt ist.« »Kann ich mir nicht vorstellen.«
Er legte eine Hand um ihre Taille und machte ein paar vorsichtige Schritte.
»Ein Gefühl, wie die Unschuld zu verlieren«, s agte er. » Aber das ist wohl unvermeidlich – da muss wohl jeder norwegische Mann früher
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