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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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jeder Stufe aufsetzte und ihren Schlüsselbund wie eine Wünschelrute vor sich hielt. Dann war sie in ihrer Wohnung. Während sie Harrys Nummer wählte, versuchte sie, sich Wort für Wort an Sverre Olsens Nachricht zu erinnern:
    Hier ist Sverre Olsen. Ich warte noch immer auf die zehn Riesen, die ich als Kommission für die Kanone für den Alten bekommen sollte. Bitte um Rückruf
    Dann hatte er aufgelegt.
    Im Bruchteil einer Sekunde hatte sie die Zusammenhänge verstanden. Das fünfte Stichwort in dem Rätsel, wer der Mittelsmann im Märklin-Handel war. Ein Polizist. Tom Waaler. Natürlich. Zehntausend Kronen Kommission für einen Unterhändler wie Olsen, das musste ein dickes Geschäft sein. Der Alte. Waffenfixiertes Milieu. Rechtsextreme Sympathien. Der Prinz – ein kommender Kommissionsleiter. Es war glasklar, derart einleuchtend, dass sie eine Sekunde lang schockiert darüber war, dass sie es mit ihren Fähigkeiten, zwischen den Zeilen lesen zu können, was anderen verborgen war, nicht eher verstanden hatte. Sie wusste, dass sie schon längst paranoid war, doch sie konnte sich nicht gegen den Gedanken wehren, als sie darauf wartete, dass Waaler wieder aus dem Restaurant kam: Tom Waaler hatte alle Möglichkeiten, auf der Karriereleiter weiter nach oben zu steigen und seine Fäden, im Schutze der Schwingen derMacht, von immer wichtigeren Positionen aus zu spinnen. Weiß Gott, mit wem er sich im Polizeipräsidium bereits verbündet hatte. Wenn sie nachdachte, blieben natürlich weit mehr, die bei so etwas niemals mitmachen würden. Doch der Einzige, dem sie hundertprozentig, wirklich hundertprozentig vertraute, war Harry.
    Endlich kam sie durch. Es klingelte. Seine Leitung war nie besetzt. Los, Harry!
    Sie wusste auch, dass es bloß eine Frage der Zeit sein würde, wann Waaler mit Olsen reden und somit herausfinden würde, was geschehen war. Sie zweifelte nicht eine Sekunde lang, dass sie dann in Lebensgefahr war. Sie musste schnell handeln und konnte sich keinen einzigen Fehler erlauben. Eine Stimme fuhr in ihre Gedanken:
    »Sie sind mit dem Anrufbeantworter von Harry Hole verbunden. Hinterlassen Sie mir eine Nachricht.«
    Piep.
    »Verflucht, Harry! Hier ist Ellen. Wir haben ihn jetzt. Ich ruf dich auf dem Handy an.«
    Sie klemmte den Hörer zwischen Schulter und Kinn, schlug ihr Telefonverzeichnis unter H auf, ließ den Hörer wegrutschen, so dass er mit einem Knall auf dem Boden aufschlug, fluchte und fand schließlich Harrys Handynummer. Zum Glück hat er das Telefon immer dabei, dachte sie, während sie die Nummer wählte.
    Ellen Gjelten wohnte in der dritten Etage eines frisch renovierten Hauses, gemeinsam mit einer zahmen Kohlmeise namens Helge. Die Wohnung hatte fünfzig Zentimeter dicke Steinwände und war doppelt verglast. Trotzdem konnte sie schwören, das mahlende Geräusch eines Autos im Leerlauf zu hören.
     
    Rakel Fauke lachte.
    »Wenn du Linda einen Tanz versprochen hast, kommst du nicht mit ein paar müden Drehungen davon.«
    »Nun, die Alternative heißt abhauen.«
    Es entstand eine Pause, und Harry wurde plötzlich bewusst, dass man das Letzte, was er gesagt hatte, auch missverstehen konnte. Er beeilte sich zu fragen:
    »Wie bist du zum PÜD gekommen?«
    »Über Russisch«, antwortete sie. »Ich habe beim Verteidigungsministerium Russischkurse belegt und danach zwei Jahre als Dolmetscherinin Moskau gelebt. Kurt Meirik hat mich bereits damals rekrutiert. Nach dem Jurastudium habe ich gleich auf Lohnstufe fünfunddreißig im PÜD angefangen. Ich glaubte, einen Goldesel gefunden zu haben.«
    »Und stimmte das denn nicht?«
    »Bist du verrückt? Heute verdienen die, mit denen ich studiert habe, bereits das Dreifache von dem, was ich hier jemals verdienen kann.«
    »Du hättest aufhören und eine Arbeit wie sie annehmen können.« Sie zuckte mit den Schultern. »Meine Arbeit gefällt mir. Das können nicht alle sagen.«
    »Da sagst du was.«
    Pause.
    Da sagst du was. War er wirklich nicht zu mehr in der Lage? »Und wie ist es mit dir, Harry? Gefällt dir dein Job?«
    Sie standen noch immer zur Tanzfläche gewandt da, doch Harry bemerkte ihren Blick und sah, wie sie ihn mit den Augen maß. Eine Fülle von Gedanken raste durch seinen Kopf. Dass sie kleine Lachfältchen an Augen und Mund hatte, dass Moskens Hütte nicht weit von dem Ort entfernt war, wo sie die leeren Geschosshülsen des Märklin-Gewehres gefunden hatten, dass laut Dagbladet vierzig Prozent aller in Städten lebenden Frauen untreu

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