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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Anbetracht der Länge des Verfahrens daran interessiert sei, zu einerLösung in Sachen Sorgerecht zu kommen, wobei man aus menschlichen Gründen besonders an Olegs russische Familie denke. Was bedeutete, dass Rakel Fauke und Oleg vor einen russischen Richter würden treten und sich zu den Vorwürfen würden äußern müssen.
    Vier Tage später rief Rakel Brandhaug an und bat ihn, ihn wegen einer Privatangelegenheit sprechen zu dürfen. Er antwortete, er habe viel zu tun, was durchaus der Wahrheit entsprach, und fragte, ob das nicht ein paar Wochen Zeit habe. Als sie ihn mit einem leichten Klirren in der Stimme, das den professionell freundlichen Ton durchdrang, noch einmal bat, ihn so bald wie möglich sprechen zu können, fand er nach einer gewissen Bedenkzeit heraus, dass Freitagnachmittag gegen achtzehn Uhr in der Bar des Continental der einzige noch freie Termin war. Dort bestellte er Gin Tonics, während sie ihm mit der biologisch bedingten Verzweiflung einer Mutter – wie er vermutete – ihr Problem vortrug. Er nickte ernst, tat sein Bestes, um Mitgefühl in seinen Blick zu legen, und wagte es schließlich, seine Hand väterlich beschützend auf die ihre zu legen. Sie erstarrte, doch er tat so, als sei nichts geschehen, und erzählte, dass er sich nicht über die Beschlüsse seiner Abteilungsleiter hinwegsetzen könne, aber dass er natürlich tun werde, was in seiner Macht stehe, um zu verhindern, dass sie vor ein russisches Gericht treten müsse. Er unterstrich auch, dass er in Anbetracht des politischen Einflusses der Familie ihres Exmannes durchaus ihre Einschätzung teile, dass ein mögliches Verfahren zu ihren Ungunsten ausgehen könne. Er saß da, starrte wie verhext in ihre tränennassen Augen und glaubte, nie etwas Schöneres gesehen zu haben. Sie lehnte es dann aber ab, das Treffen mit einem Essen im Restaurant abzuschließen. Der Rest des Abends wurde mit einem Glas Whiskey und dem Pay-TV im Hotelzimmer alles andere als ein Höhepunkt.
     
    Am nächsten Morgen rief Brandhaug den russischen Botschafter an und erzählte, es habe im Außenministerium eine interne Diskussion über das Sorgerecht im Falle Oleg Fauke-Gosew gegeben, und er bat ihn um ein Schreiben, aus dem die aktuelle Position der russischen Behörden hervorging. Der Botschafter hatte noch nie von der Sache gehört, versprach aber, dem Wunsch des Staatssekretärs nachzukommen und den Brief in Form eines Ersuchens zu formulieren. Der Brief, in dem die Russen darum baten, dass Rakel und Oleg voreinem russischen Gericht erscheinen sollten, kam eine Woche später. Brandhaug sandte sogleich eine Kopie an die Rechtsabteilung sowie an Rakel Fauke. Dieses Mal kam ihr Anruf bereits nach einem Tag. Nachdem er sie angehört hatte, sagte Brandhaug, es sei gegen seine diplomatischen Grundsätze, sich in die Sache einzumischen, und dass es ohnehin nicht gut wäre, über so etwas am Telefon zu sprechen.
    »Wie Sie wissen, habe ich selbst keine Kinder«, sagte er. »Doch so, wie Sie Oleg beschreiben, muss das ein toller Junge sein.«
    »Wenn Sie ihn kennen würden, dann …«, begann sie.
    »Das sollte doch nicht unmöglich sein. Auf den Briefen habe ich ganz zufällig gelesen, dass sie am Holmenkollveien wohnen, und das ist ja von Nordberg nur ein Katzensprung.«
    Er bemerkte das Zögern am anderen Ende der Leitung, wusste aber, dass er die besseren Karten hatte.
    »Sagen wir, morgen Abend um neun?«
    Es entstand eine längere Pause, ehe sie antwortete:
    »Kein Sechsjähriger ist um neun noch wach.«
    So verabredeten sie sich stattdessen für sechs Uhr. Oleg hatte wie seine Mutter braune Augen und war ein wohlerzogener Junge. Es quälte Brandhaug aber immer mehr, dass Olegs Mutter weder das Thema wechseln noch den Jungen zu Bett bringen wollte. Ja, man konnte den Eindruck haben, der Junge säße wie eine Geisel auf dem Sofa. Und es gefiel Brandhaug auch nicht, dass dieser Junge ihn die ganze Zeit anstarrte. Brandhaug erkannte schließlich, dass Rom auch nicht an einem Tag erbaut worden war, versuchte es aber trotzdem, als er auf der Treppe stand, um zu gehen. Er sah ihr tief in die Augen und sagte:
    »Sie sind nicht nur eine schöne Frau, Rakel. Sie sind überdies außergewöhnlich mutig. Ich möchte nur, dass Sie wissen, dass Sie mir sehr viel bedeuten.«
    Er war sich nicht ganz sicher, wie er ihren Blick deuten sollte, aber er riskierte es trotzdem, sich vorzubeugen und ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. Ihre Reaktion war zweideutig. Ihr Mund

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