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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Ellens Tisch geschobenworden war. Zum ersten Mal sah er, wie das Büro aus dieser Perspektive aussah.
    »Was haben Sie gefunden, Halvorsen?«
    Halvorsen runzelte die Stirn.
    »Das ist schon in Ordnung«, sagte Harry. »Ich habe um diese Informationen gebeten. Sie können Møller fragen, wenn Sie wollen.«
    Ein Licht schien Halvorsen aufzugehen.
    »Natürlich, Sie sind der Hole vom PÜD! Entschuldigen Sie, dass ich so eine lange Leitung hatte.« Ein breites Lächeln zeichnete sich auf dem jugendlichen Gesicht ab. »Ich erinnere mich an diese Australien-Sache. Wie lange ist das jetzt her?«
    »Eine ganze Weile. Wie gesagt …«
    »Ach ja, die Liste!« Er tippte mit den Fingerknöcheln auf einen Stapel Computerausdrucke. »Das sind alle, die in den letzten zehn Jahren wegen schwerer Körperverletzung vorübergehend festgenommen, angeklagt oder verurteilt worden sind. Es sind über tausend Namen. Das war schnell erledigt. Das Problem ist aber herauszufinden, wer davon eine Glatze hat; das steht nicht in den Akten. Das kann Wochen dauern …«
    Harry lehnte sich im Stuhl nach hinten.
    »Ich verstehe. Es gibt im SSP aber eine Kodierung für die Waffen, die verwendet worden sind. Suchen Sie nach diversen Schlagwaffen. Mal sehen, wie viele dann noch übrig sind.«
    »Ich habe auch schon daran gedacht, Møller das vorzuschlagen, als ich sah, wie viele das sind. Die meisten hier auf der Liste haben Messer, Schusswaffen oder einfach bloß ihre Fäuste benutzt. In ein paar Stunden sollte ich eine neue Liste haben.«
    Harry stand auf.
    »Gut«, sagte er. »Ich erinnere mich nicht an meine Durchwahl hier im Haus, Sie finden sie aber auf der Telefonliste. Und zögern Sie nicht, wenn Sie das nächste Mal einen guten Vorschlag haben. Sagen Sie es einfach. So schlau sind wir hier in der Hauptstadt auch nicht.«
    Halvorsen lachte unsicher.
     
    PÜD , 2. Mai 2000
     
    62 Der Regen hatte den ganzen Vormittag die Straßen gepeitscht, ehe die Sonne plötzlich und mit gewaltiger Kraft durch die Wolkendecke brach, so dass der Himmel im Handumdrehen wolkenlos war. Harry hatte die Füße auf den Schreibtisch und die Hände hinter den Kopf gelegt und bildete sich ein, er dächte an die Märklin-Waffe. Doch seine Gedanken hatten einen Abstecher durch das Fenster gemacht und waren den frisch gewaschenen Straßen gefolgt, die jetzt nach nassem, warmem Asphalt rochen, an den Bahnschienen entlang bis ganz hinauf zum Holmenkollen, wo noch immer ein paar graue Schneereste im Schatten der Bäume lagen und wo Rakel, Oleg und er im Zickzack über die matschigen Frühjahrspfade gesprungen waren, um den tiefsten Fezen auszuweichen. Harry konnte sich dunkel daran erinnern, dass er selbst in Olegs Alter solche Sonntagsspaziergänge unternommen hatte. Wenn er und Sees auf weiten Wanderungen hinterherzockelten, hatte ihr Vater Schokolade an die untersten Zweige gehängt. Søs war noch immer überzeugt davon, dass Schokoriegel auf Bäumen wuchsen.
    Oleg hatte bei Harrys ersten beiden Besuchen nicht viel mit ihm geredet. Aber das war in Ordnung; Harry hätte auch nicht gewusst, was er sagen sollte. Aber die Scheu der beiden hatte sich etwas gelegt, als Harry bemerkte, dass Oleg Tetris auf seinem Gameboy hatte. Harry hatte ohne Zurückhaltung sein Bestes gegeben und den Sechsjährigen mit über vierzigtausend Punkten Vorsprung geschlagen. Danach hatte Oleg begonnen, Harry nach allem Möglichen zu fragen, zum Beispiel, warum der Schnee weiß ist, oder andere Sachen, die erwachsenen Männern tiefe Falten auf die Stirn zeichnen, so dass sie sich derart konzentrieren müssen, dass sie ihre Scheu vollkommen vergessen. Letzten Sonntag hatte Oleg einen Hasen im Winterpelz entdeckt und war vorausgelaufen, und Harry hatte Rakels Hand genommen. Sie war außen kalt und innen warm. Sie hatte den Kopf auf die Seite gelegt und ihn angelächelt, während sie den Arm heftig vor-und zurückschwang, als wollte sie sagen: Wir spielen Spielchen, das ist nicht das wahre Leben. Er hatte bemerkt, dass sie sich etwas verkrampfte, als sich andere Menschen näherten, und ihre Hand losgelassen. Anschließend hatten sie oben auf demFrognerseter einen Kakao getrunken, und Oleg hatte gefragt, warum es Frühling werde.
    Er hatte Rakel zum Essen eingeladen. Zum zweiten Mal. Beim ersten Mal hatte sie gesagt, sie müsse darüber nachdenken, und ihn dann angerufen und abgesagt. Auch dieses Mal hatte sie um Bedenkzeit gebeten, aber jedenfalls nicht nein gesagt. Noch nicht.
    Das Telefon klingelte.

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