Rotkehlchen
lächelte und bedankte sich für das Kompliment, aber ihre Augen waren kalt, als sie hinzufügte:
»Es tut mir Leid, dass ich Sie so lange aufgehalten habe, Herr Brandhaug. Ihre Frau wartet doch bestimmt.«
Seine Andeutungen waren so unzweideutig gewesen, dass er sich entschloss, ihr ein paar Tage Bedenkzeit zu geben; doch es kam kein weiterer Anruf von Rakel Fauke. Stattdessen erreichte ihn ein unerwarteter Brief von der russischen Botschaft, in dem um eine Mitwort gebeten wurde. Brandhaug erkannte, dass er mit seinem Anliegen schlafende Hunde in der Sache Oleg Fauke-Gosew geweckt hatte. Bedauerlich, aber da es nun einmal geschehen war, sah er keinen Grund, diesen Umstand nicht auszunutzen. Er rief Rakel direkt im PÜD an und unterrichtete sie über den neuesten Stand der Dinge.
Einige Wochen später befand er sich erneut in der hölzernen Villa am Holmenkollveien, die größer und dunkler als seine eigene war. Dieses Mal, nachdem der Junge im Bett war. Sie wirkte in seiner Gesellschaft viel entspannter als zuvor. Es war ihm sogar gelungen, das Gespräch auf ein etwas persönlicheres Niveau zu bringen, so dass er ohne viel Aufsehen darüber reden konnte, wie platonisch das Verhältnis zwischen ihm und seiner Frau doch geworden sei. Wie wichtig es da sei, ab und zu das Gehirn auszuschalten und auf Körper und Herz zu hören. Da unterbrach ihn das Klingeln der Türglocke plötzlich und gänzlich unwillkommen. Rakel ging hinaus, um zu öffnen, und kam mit diesem hochgewachsenen Mann mit dem fast kahl geschorenen Schädel und den rot unterlaufenen Augen wieder. Rakel stellte ihn als einen Kollegen aus dem PÜD vor. Brandhaug hatte den Namen ohne Zweifel schon einmal gehört, er wusste nur nicht mehr, wo und wann. Nichts an diesem Kerl gefiel ihm. Es passte ihm nicht, unterbrochen worden zu sein, und auch nicht, dass der Kerl angetrunken war und ihn wie Oleg auf dem Sofa sitzend anstarrte, ohne auch nur ein Wort zu äußern. Was ihm aber am meisten missfiel, war Rakels Veränderung. Sie blühte mit einem Mal auf, beeilte sich, Kaffee zu kochen, und lachte überschwänglich über die einsilbigen Kommentare dieses Kerls, als beinhalteten sie geniale Pointen. Und es lag echte Sorge in ihrer Stimme, als sie ihm verbot, mit dem eigenen Wagen nach Hause zu fahren. Das einzig Versöhnliche, das Brandhaug diesem Kerl abgewinnen konnte, war die Tatsache, dass er ganz plötzlich wieder den Rückzug antrat und dass sie kurz darauf seinen Wagen starten hörten, was natürlich bedeuten konnte, dass er anständig genug war, sich selbst zu Tode zu fahren. Der Schaden, den er an der Stimmung angerichtet hatte, war hingegen nicht zu kitten,und schon kurz darauf saß Brandhaug selbst auf dem Weg nach Hause in seinem Wagen. In diesem Moment war ihm seine alte Regel wieder in den Sinn gekommen – dass es nämlich vier mögliche Gründe dafür gibt, dass Männer manchmal das Gefühl haben, eine Frau bekommen zu müssen. Und dass es der wichtigste ist, wenn man erkennt, dass sie einen anderen wollen.
Als er am nächsten Tag Kurt Meirik anrief und fragte, wer der große blonde Kerl sei, war er zuerst vollkommen überrascht, dann musste er lachen. Denn das war dieser seltsame Mann, für dessen Beförderung und Eingliederung ins PGD er selbst gesorgt hatte. Eine Ironie des Schicksals, natürlich, doch auch das Schicksal unterliegt manchmal den Beschlüssen des Departementsrates im Königlich Norwegischen Außenministerium. Als Brandhaug auflegte, hatte er schon wieder bessere Laune, ging pfeifend über den Flur zur nächsten Besprechung und erreichte den Sitzungssaal in weniger als siebzig Sekunden.
Polizeipräsidium, 27. April 2000
61 Harry stand in der Tür seines alten Büros und sah auf einen blonden jungen Mann herab, der auf Ellens Stuhl saß. Er konzentrierte sich derart auf den PC, dass er Harry erst bemerkte, als dieser sich räusperte.
»Sie sind also Halvorsen?«, fragte Harry.
»Ja«, sagte der junge Mann mit einem fragenden Blick. »Vom Lehnsmannbüro in Steinkjer?«
»Richtig.«
»Harry Hole. Ich habe früher da gesessen, wo Sie jetzt sitzen, nur auf dem anderen Stuhl.«
»Der ist kaputt.«
Harry lächelte. »Das war er schon immer. Bjarne Møller hat Sie gebeten, ein paar Kleinigkeiten in der Ellen-Gjelten-Sache zu überprüfen.«
»Ein paar Kleinigkeiten«, platzte Halvorsen ungläubig heraus. »Ich sitze seit drei Tagen daran und habe kaum geschlafen.«
Harry setzte sich auf seinen alten Stuhl, der an
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