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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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    Es klopfte leicht an der Tür. Er stand auf, warf einen letzten Blick auf das exklusive gelbgoldene Bettzeug, spürte einen Anflug von Angst, den er im gleichen Moment auch schon davonjagte, und ging die vier Schritte zur Tür hinüber. An der Tür warf er einen Blick in den Spiegel, fuhr sich mit der Zunge über die Schneidezähne, befeuchtete einen Finger, korrigierte damit seine Augenbrauen und öffnete.
    Sie stand mit offenem Mantel an die Wand gelehnt da. Darunter trug sie ein rotes Wollkleid. Er hatte sie gebeten, etwas Rotes anzuziehen. Ihre Augenlider waren schwer und sie lächelte ironisch und gleichermaßen abwesend. Brandhaug war überrascht, so hatte er sie noch nie gesehen. Es machte fast den Eindruck, als hätte sie getrunken oder irgendwelche Tabletten genommen – ihre Augen sahen ihn trübe an und er erkannte ihre Stimme kaum wieder, als sie undeutlich murmelte, sie hätte das Zimmer beinahe nicht gefunden. Er hakte sich bei ihr ein, doch sie machte sich frei, und so steuerte er sie mit einer Hand auf ihrem Rücken in das Zimmer hinein. Sie ließ sich auf das Sofa fallen.
    »Ein Drink?«, fragte er.
    »Na klar«, sagte sie nuschelnd. »Oder hättest du es lieber, wenn ich mich gleich ausziehe?«
    Brandhaug goss ihr ein Glas ein, ohne zu antworten. Er wusste, was sie vorhatte. Doch wenn sie glaubte, sie könne ihm den Spaß verderben, indem sie die Rolle »gekauft und bezahlt« spielte, täuschte sie sich. Es wäre ihm natürlich am liebsten gewesen, sie hätte die übliche Rolle seiner Eroberungen aus dem Außenministerium gespielt – das unschuldige Mädchen, das dem unwiderstehlichen Charme und der selbstsicheren, maskulinen Sinnlichkeit ihres Chefs erlag. Doch das Wichtigste war, dass sie seinen Wünschen nachgab. Er war zu alt, um an romantische Beweggründe der Menschen zu glauben. Das Einzige, was sie unterschied, war das, worauf sie aus waren: Macht und Karriere oder – in ihrem Fall – das Sorgerecht für ihren Sohn.
    Es hatte ihn nie gestört, dass es die Chefs waren, von denen sich die Frauen blenden ließen. Denn das war doch seine Rolle. Er war Staatssekretär Bernt Brandhaug. Sein ganzes Leben hatte er, verdammt noch mal, dafür gearbeitet. Dass Rakel sich mit irgendetwas betäubte und sich wie eine Hure anbot, änderte daran nichts.
    »Es tut mir Leid, aber ich muss dich einfach haben«, sagte er und ließ zwei Eiswürfel in ihr Glas fallen. »Wenn du mich erst kennen lernst, wirst du auch meine besseren Seiten sehen. Aber ich will dir trotzdem eine erste Lektion erteilen, eine Idee, wie ich denke und funktioniere.«
    Er reichte ihr das Glas.
    »Manche Männer kriechen, die Nase am Boden, durchs Leben und begnügen sich mit ein paar Krumen. Wir anderen richten uns auf unseren zwei Beinen auf, gehen zum Tisch und suchen uns unseren rechtmäßigen Platz. Wir sind in der Minderzahl, denn unsere Lebenseinstellung bringt es mit sich, dass wir mitunter brutal sein müssen, und diese Brutalität erfordert die Kraft, sich von unserer Sozialdemokratie und der egalitären Erziehung loszureißen. Doch wenn ich die Wahl habe, so zu sein oder zu kriechen, ziehe ich es vor, mit einer kurzsichtigen Moral zu brechen, die nicht imstande ist, individuellen Handlungen eine Perspektive zu geben. Und ich glaube, tief in deinem Inneren wirst du mich dafür respektieren.«
    Sie antwortete nicht, sondern kippte ihren Drink hinunter.
    »Hole hat nie ein Problem für dich dargestellt«, sagte sie. »Er und ich sind nur gute Freunde.«
    »Ich glaube, du lügst«, entgegnete er und goss ihr etwas zögerlich in das Glas nach, das sie ihm entgegenstreckte. »Und ich muss dich allein haben. Versteh mich nicht falsch; als ich die Bedingung stellte, dass du sofort jeglichen Kontakt zu Hole abbrechen solltest, hatte das weniger mit Eifersucht als mit einer gewissen Reinlichkeit zu tun. Abgesehen davon schadet ihm der kleine Aufenthalt in Schweden, wohin ihn Meirik geschickt hat, sicher nicht.«
    Brandhaug lachte kurz.
    »Warum siehst du mich so an, Rakel? Ich bin nicht König David und Hole ist nicht … wie sagtest du doch, war der Name von dem, den die Generäle auf Geheiß von König David an die vorderste Front beorderten?«
    »Urias«, murmelte sie.
    »Genau. Er starb an der Front, nicht wahr?«
    »Sonst wäre es keine gute Geschichte«, nuschelte sie in ihr Glas.
    »Okay, aber hier soll keiner sterben. Und wenn ich mich recht erinnere, waren König David und Batseba hinterher doch recht glücklich

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