Rotkehlchen
ihn unter Kontrolle hatte oder selbst vom Hass kontrolliert wurde. Er wusste, dass er sich nicht hinreißen lassen durfte, sondern einen kühlen Kopf behalten musste.
Er blickte durch die Zweige über sich in den Sternenhimmel. Es war still. So still und kalt. Er würde sterben. Sie alle würden sterben. Das war ein guter Gedanke, und er versuchte, ihn im Kopf zu behalten. Dann schloss er die Augen.
Brandhaug starrte auf den Kristallleuchter an der Decke. Ein Funken Blau der Blaupunkt-Leuchtreklame wurde von einem Kristallprisma reflektiert. So still. So kalt.
»Du kannst jetzt gehen«, sagte er.
Er sah sie nicht an, hörte nur, wie die Decke zur Seite geschlagen wurde, und spürte das Federn des Bettes. Dann hörte er, wie sie sich anzog. Sie hatte nicht ein einziges Wort gesagt. Nicht, als er sie angefasst hatte, und auch nicht, als er ihr befohlen hatte, ihn anzufassen. Sie hatte nur immer diese großen, offenen schwarzen Augen. Schwarz vor Angst. Oder Hass. Das hatte ihn derart gestört, dass er einfach nicht …
Zuerst hatte er so getan, als sei nichts, und auf das Gefühl gewartet. An andere Frauen gedacht, die er gehabt hatte, an all die Male, da es geklappt hatte. Doch das Gefühl kam nicht, und nach einer Weile hatte er sie aufgefordert, ihn nicht mehr zu berühren; es gab keinen Grund, sich von ihr demütigen zu lassen.
Sie gehorchte wie ein Roboter. Peinlich darauf bedacht, ihren Teil des Abkommens einzuhalten, nicht mehr und nicht weniger. Es war noch ein halbes Jahr, bis der Sorgerechtsstreit in der Sache Oleg verjährte. Er hatte viel Zeit. Es machte keinen Sinn, sich unter Druck zu setzen, es würden andere Tage kommen, andere Nächte.
Er hatte wieder von vorne angefangen, doch er hätte nicht all die Drinks trinken sollen, sie hatten ihn taub und unempfindsam für ihre und auch seine eigenen Liebkosungen werden lassen.
Er hatte sie in die Badewanne kommandiert und einen Drink fürsie und sich gemacht. Warmes Wasser, Seife. Er hatte lange Monologe gehalten, wie hübsch sie doch sei, doch sie hatte nicht ein einziges Wort erwidert. So still. So kalt. Schließlich war auch das Wasser kalt geworden und er hatte sie abgetrocknet und wieder mit ins Bett genommen. Ihre Haut danach, grobkörnig wie Gänsehaut, trocken. Sie hatte begonnen zu zittern, und er hatte wahrgenommen, dass er endlich zu reagieren begann. Seine Hände waren nach unten geglitten, hinab. Dann hatte er wieder ihre Augen gesehen. Groß, schwarz, tot. Den Blick irgendwo an die Decke geheftet. Und die Magie war wieder verschwunden. Er hatte Lust, sie zu schlagen, ihr Leben in die toten Augen zu prügeln, mit flacher Hand zuzuschlagen, damit ihre Haut aufloderte, hitzig und rot.
Er hörte, wie sie den Brief vom Tisch nahm, und das Klicken, als sie ihre Tasche öffnete.
»Nächstes Mal sollten wir weniger trinken«, sagte er. »Das gilt auch für dich.«
Sie antwortete nicht.
»Nächste Woche, Rakel, selbe Zeit, selber Ort. Du vergisst das doch nicht?«
»Wie sollte ich das wohl können?«, fragte sie. Die Tür schlug zu und sie war weg.
Er stand auf und mixte sich noch einen Drink. Wasser und Jameson, das einzig Gute, das je … Er trank ihn langsam. Dann legte er sich wieder hin.
Es war bald Mitternacht. Er schloss die Augen, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Aus dem Nachbarzimmer hörte er, dass jemand das Pay-TV angeschaltet hatte. Wenn es denn ein Fernseher war. Das Stöhnen klang ziemlich echt. Eine Polizeisirene durchschnitt die Nacht. Verflucht! Er warf sich herum, das weiche Bett hatte seinen Rücken bereits verkrampfen lassen. Er konnte hier nie richtig gut schlafen, nicht nur wegen des Bettes – das gelbe Zimmer war und blieb ein Hotelzimmer, ein fremder Ort.
Ein Treffen in Larvik, hatte er seiner Frau gesagt. Und wie üblich konnte er sich, als sie fragte, nicht an den Namen des Hotels erinnern, in dem sie wohnen sollten. »Ich weiß nicht, ist es Rica?« Er würde sich bei ihr melden, wenn es nicht zu spät wäre, hatte er gesagt. »Aber du weißt ja, wie das mit diesen spät angesetzten Essen ist.«
Nun ja, sie konnte sich wohl nicht beklagen; er hatte ihr zu einem Leben verholfen, das mehr bot, als sie mit ihrem Background hatte hoffen dürfen. Er hatte sie die Welt sehen lassen und ihr ermöglicht, in den schönsten Städten in großen, luxuriösen Botschafterwohnungen mit unzähligen Dienstboten zu leben. Sie hatte Sprachen lernen und interessante Menschen treffen dürfen. Sie hatte sich in ihrem
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