Rotkehlchen
zu nehmen.
»Ich hab von dem Mord an diesem Staatssekretär des Außenministeriums gelesen«, rief er aus der Küche. »Da stand, die Polizei könne nicht ausschließen, dass das etwas mit seinen Äußerungen über die Frontkämpfer zu tun hat. Die VG schreibt, die Neonazis ständen dahinter. Glaubt ihr das wirklich?«
»Diese Zeitung glaubt das vielleicht. Wir glauben nichts und deshalb schließen wir auch nichts aus. Wie läuft’s mit Ihrem Buch?«
»Ein bisschen zäh im Moment. Aber wenn ich damit fertig bin, wird es ein paar Leuten die Augen öffnen. Das versuche ich mir jedenfalls selbst einzureden, um an Tagen wie heute in Schwung zu kommen.«
Fauke stellte den Kessel auf den Wohnzimmertisch zwischen ihnen und ließ sich in den Sessel fallen. Er hatte einen kalten Lappen über den Topf gelegt; das sei ein alter Trick aus dem Krieg, erklärteer mit verschmitztem Lächeln. Er hoffte vermutlich darauf, dass Harry nach dem Sinn des Ganzen fragte, doch Harry hatte wenig Zeit.
»Die Frau von Even Juul ist verschwunden«, sagte er.
»Oje, weggelaufen?«
»Das glaube ich nicht. Kennen Sie sie?«
»Ich bin ihr nie richtig begegnet, aber ich erinnere mich noch gut an die Kontroversen, als Juul sie heiraten wollte. Weil sie Frontschwester war und so weiter. Was ist passiert?«
Harry erzählte von dem Anruf und dem Verschwinden.
»Mehr wissen wir nicht. Ich hatte gehofft, Sie würden sie kennen und könnten mich auf eine Idee bringen.«
»Tut mir Leid, aber …«
Fauke hielt inne, um einen Schluck Kaffee zu nehmen. Er sah nachdenklich aus.
»Was, sagten Sie, stand auf dem Spiegel?«
»Gott ist mein Richter«, erwiderte Harry.
»Hm.«
»Woran denken Sie?«
»Das weiß ich selbst nicht so genau«, antwortete Fauke und strich sich über sein unrasiertes Kinn.
»Los, sagen Sie’s schon.«
»Sie meinten, es könne sein, dass er eine Erklärung abgeben wollte, dass er Verständnis suchte.«
»Ja?«
Fauke ging zum Regal hinüber, zog ein dickes Buch heraus und begann zu blättern.
»Genau«, sagte er. »Wie ich mir dachte.«
Er reichte Harry das Buch. Es war ein Bibellexikon.
»Schauen Sie unter Daniel nach.«
Harrys Augen glitten über die Seite nach unten, bis er den Namen fand: »Daniel. Hebräisch. Gott (EL) ist mein Richter.«
Er sah zu Fauke auf, der den Kaffeekessel angehoben hatte, um einzuschenken.
»Sie suchen nach einem Geist, Herr Hole.«
Parkvei, Uranienborg, 12. Mai 2000
80 Johan Krohn empfing Harry in seinem Büro. Die Regale hinter ihm waren voll gestopft mit verschiedenen Jahrgängen juristischer Publikationen, die in braunes Leder eingebunden waren. Sie bildeten einen seltsamen Kontrast zu dem kindlichen Gesicht des Anwalts.
»Es ist schon eine Weile her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben«, sagte Krohn und bat Harry mit einer Handbewegung, sich zu setzen.
»Sie haben ein gutes Erinnerungsvermögen«, stellte Harry fest.
»Ja, mit meinem Gedächtnis ist alles in Ordnung. Sverre Olsen. Ihr hattet eine heftige Sache da. Schade, dass sich das Gericht nicht ans Regelbuch gehalten hat.«
»Deshalb bin ich nicht gekommen«, sagte Harry. »Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten.«
»Bitten ist gratis«, antwortete Krohn und legte die Fingerkuppen aneinander. Er erinnerte Harry an einen Kinderschauspieler, der einen Erwachsenen spielte.
»Ich suche nach einer Waffe, die illegal importiert worden ist, und ich habe Grund zu der Annahme, dass Sverre Olsen irgendetwas damit zu tun hatte. Da Ihr Klient nicht mehr am Leben ist, hindert Sie die Schweigepflicht nicht mehr daran, uns ein paar Informationen zu geben. Es kann uns helfen, den Mord an Bernt Brandhaug aufzuklären, der, wie wir ziemlich sicher sind, mit genau dieser Waffe erschossen worden ist.«
Krohn lächelte säuerlich.
»Ich würde es vorziehen, wenn Sie es mir überließen zu entscheiden, wie weit meine Schweigepflicht geht. Die hört nicht automatisch auf, wenn ein Klient stirbt. Und Sie haben wohl auch nicht daran gedacht, dass es reichlich frech ist, hierher zu kommen und mich um Informationen zu bitten, nachdem Sie meinen Klienten erschossen haben?«
»Ich versuche, Gefühle außer Acht zu lassen und mich professionell zu verhalten«, erwiderte Harry.
»Dann geben Sie sich gefälligst ein bisschen mehr Mühe!« Krohns Stimme klang noch piepsiger, wenn er sie anhob. »Das ist nämlichnicht sonderlich professionell. Genauso unprofessionell, wie den Mann in seinem eigenen Haus zu erschießen.«
»Es
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