Rotkehlchen
…«
»Denk nach, Halvorsen, los, hab keine Angst. Und dann sag mir einfach, was du denkst. Ich werde das nicht gegen dich verwenden.«
Halvorsen senkte seinen Blick und spielte mit der Pizzakarte herum.
»Wenn Mosken lügt, ist er wirklich ein eiskalter Fisch, so viel ist sicher.«
»Sorgst du dafür, dass Mosken überwacht wird? Ich will zwei Männer vor seiner Haustür haben, Tag und Nacht.«
Halvorsen nickte und wählte eine Nummer mit seinem Mobiltelefon. Harry konnte Møllers Stimme hören, während er zu dem Neonazi in der Ecke hinübersah – oder wie auch immer die sich nannten. Nationalsozialisten. Nationaldemokraten. Er hatte gerade erst die Kopie einer Soziologie-Diplomarbeit bekommen, in der der Autor zu dem Schluss gekommen war, dass es siebenundfünfzig Neonazis in Norwegen gab.
Die Pizza kam und Halvorsen blickte Harry fragend an. »Bitte«, sagte Harry. »Pizza ist nichts für mich.«
Die Uniform in der Ecke hatte Gesellschaft von einer kurzen grünen Combatjacke bekommen. Sie steckten ihre Köpfe zusammen und sahen zu den beiden Polizisten hinüber.
»Eine Sache noch«, sagte Harry. »Linda vom PÜD hat mir gesagt,dass es in Köln ein SS-Archiv gibt, das in den siebziger Jahren zwar teilweise abgebrannt ist, in dem es aber dennoch ein paar Hinweise auf Norweger geben soll, die auf Seiten der Deutschen gekämpft haben. Marschbefehle, Auszeichnungen, Dienstgrade und so etwas. Ich möchte, dass du dort anrufst und etwas über einen Daniel Gudeson herauszufinden versuchst. Und über Gudbrand Johansen.«
»Jess, Boss«, sagte Halvorsen, den Mund voller Pizza. »Wenn ich mit dem Rest hiervon fertig bin.«
»Ich unterhalte mich derweil mit den Jungs dort drüben«, sagte Harry und stand auf.
In seinem Job hatte Harry noch nie Skrupel gehabt, seine Körpergröße einzusetzen, um sich einen psychologischen Vorteil zu verschaffen. Und obgleich der Adolfschnäuzer zu ihm aufsah, als würde ihn das all seine Kraft kosten, wusste Harry, dass sich hinter diesem kalten Blick die gleiche Furcht versteckte, die er auch bei Krohn bemerkt hatte. Dieser Kerl hatte nur mehr Training hinter sich, um das zu verbergen. Harry zog den Stuhl weg, auf den der Adolfschnäuzer seine Beine gelegt hatte, die daraufhin mit einem Knallen zu Boden krachten.
»Entschuldigung«, sagte Harry, »ich dachte, der Stuhl wäre frei.«
»Scheißbulle«, brummte der Adolfschnäuzer. Der kahle Schädel oberhalb der Combatjacke drehte sich um.
»Richtig«, sagte Harry. »Oder Schnüffler, Spitzel, Onkel. Nein, das ist vielleicht zu freundlich. Wie wär’s mit The Man, ist das international genug?«
»Hast du was gegen uns, he?«, fragte die Uniform.
»Ja, ich hab was gegen euch«, erwiderte Harry. »Schon lange. Sag dem Prinzen einen schönen Gruß von mir. Dass Hole gekommen ist, um den Spieß ein bisschen umzudrehen. Von Hole an den Prinzen, ist das klar?«
Die Combatjacke glotzte ihn an. Dann öffnete die Uniform einen Mund mit wild durcheinander stehenden Zähnen und lachte, dass ihm der Speichel über die Lippen rann.
»Sprichst du von Haakon Magnus, oder was?«, fragte er, und die Combatjacke begriff die Pointe und lachte mit.
»Nun«, sagte Harry, »wenn ihr bloß einfaches Fußvolk seid, wisst ihr natürlich nicht, wer der Prinz ist. Dann gebt den Bescheid aneuren nächsten Vorgesetzten weiter. Hoffentlich schmeckt euch die Pizza, Jungs.«
Harry ging zu Halvorsen zurück, während er ihre Blicke im Rücken spürte.
»Iss auf«, sagte er zu Halvorsen, der ein gewaltiges Stück Pizza in der Hand hielt. »Wir müssen hier raus, ehe es einen Aktenvermerk mehr über mich gibt.«
Holmenkal å sen, 12. Mai 2000
82 Es war der bislang wärmste Frühlingsabend. Harry fuhr mit geöffneten Fenstern und der milde Wind blies ihm ins Gesicht und über die Haare. Vom Holmenkoll å s konnte er den Oslofjord erkennen, in dem die Inseln wie graubraune Muscheln ausgestreut waren und die ersten weißen Segel der Saison in Richtung Land steuerten. Ein paar frisch gebackene Abiturienten standen in ihrer traditionellen roten Bekleidung neben einem roten Bus und pinkelten an den Straßenrand, während die Musik aus den Lautsprechern auf dem Dach dröhnte:
»Won’t – you – be my lover …«
Eine ältere Frau in Bundhosen und mit einem um die Hüften gebundenen Anorak schlenderte mit einem müden Lächeln die Straße hinunter.
Harry parkte unterhalb ihres Hauses. Er wollte nicht in die Einfahrt fahren, er wusste nicht,
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