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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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sollte (Jugend, mein Gott, das ist doch gerade erst drei Jahre her …), bin ich überzeugt davon, dass sie mich nicht wiedererkennen würden, so anders, wie ich mich jetzt fühle.
    Ich habe mehr Angst davor, dass plötzlich jemand auftauchen könnte, der den wirklichen Sindre Fauke kannte. Glücklicherweise stammt er aus einem ähnlich kleinen, wenn nicht noch kleineren Dorf, doch er hat Verwandte, die ihn identifizieren könnten.
    Ich machte mir genau darüber Gedanken und war deshalb nicht wenig verwundert, als sie mir den Befehl gaben, einen meiner (Faukes) NS-Brüder zu liquidieren. Es sollte wohl ein Test sein, ob ich wirklich die Seite gewechselt hatte und nicht etwa ein Spitzel bin. Daniel und ich wären beinahe vor Lachen geplatzt – es ist fast so, als wenn wir selbst auf diese Idee gekommen wären. Sie baten mich doch wirklich, die Personen aus dem Weg zu räumen, die mich entlarven könnten! Ich verstehe wohl, dass diese Möchtegernsoldaten der Meinung sind, Brudermord sei ein gewaltiger Schritt, so unerfahren, wie sie sind, und so wenig, wie sie hier im sicheren Wald über die Brutalität des Krieges wissen. Doch ich habe mich entschlossen, sie beim Wort zu nehmen, ehe sie es sich anders überlegen. Sobald es dunkel wird, werde ich in die Stadt gehen, meine Dienstpistole holen, die zusammen mit der Uniform in einem Schließfach imBahnhof liegt, und dann den gleichen Nachtzug zurück nehmen, mit dem ich gekommen bin. Ich kenne ja den Namen der Siedlung, die in der Nähe von Faukes Hof liegt, so dass ich mich wohl durchfragen kann.
     
    Oslo, 13. Mai 1945
     
    103 Noch so ein merkwürdiger Tag. Das Land ist noch immer im Freiheitsrausch und heute kam Kronprinz Olaf gemeinsam mit einer Regierungsdelegation nach Oslo. Ich konnte einfach nicht zum Hafen hinuntergehen und mir das ansehen, doch ich hörte, dass sich halb Oslo dort versammelt haben sollte. Ich ging heute in Zivil die Karl Johans Gate hoch, und meine »soldatischen« Freunde können nicht verstehen, warum ich nicht wie sie in der »Uniform« der Heimatfront umherstolziere und mich als Held feiern lasse. Das scheint zurzeit ein richtiger Magnet für junge Damen zu sein. Frauen und Uniformen – wenn ich mich recht erinnere, rannten sie 1940 den grünen Uniformen ebenso gern hinterher.
    Ich ging zum Schloss hoch, um zu sehen, ob der Kronprinz auf den Balkon trat und eine Ansprache hielt. Viele hatten sich dort versammelt. Vor dem Schloss ging gerade, als ich kam, der Wachwechsel vonstatten. Wieder so ein jämmerliches Schauspiel nach deutschem Vorbild, doch die Menschen jubelten.
    Ich habe die Hoffnung, dass der Kronprinz all die guten Norweger wieder auf den Boden zurückholt, die fünf lange Jahre still und ohne einen Finger zu rühren in ihrem Kämmerlein gesessen und zugesehen haben, jetzt aber lauthals nach Rache und Strafe für die Landesverräter schreien. Ich glaube nämlich, dass uns Kronprinz Olaf verstehen kann, denn wenn die Gerüchte stimmen, war er der Einzige des Königshauses und der Regierung, der während der Kapitulation eine gewisse Stärke zeigte, indem er sich erbot, in seinem Land zu bleiben und das Schicksal seines Volkes zu teilen. Doch die Regierung riet ihm ab; sie erkannte wohl, dass es sie selbst und den König in ein merkwürdiges Licht stellen würde, wenn sie ihn hier zurückließe, selbst aber das Weite suchte.
    Ja, ich habe die Hoffnung, dass der junge Kronprinz (der im Gegensatzzu den Heiligen der letzten Tage weiß, wie man eine Uniform trägt!) der Nation erklären kann, welchen Einsatz die Frontkämpfer geleistet haben, da er ja selbst erkannt hat, welche Gefahr die Bolschewiken im Osten für unser Land darstellten und noch immer darstellen. Bereits zu Beginn des Jahres 1942, während wir Frontkämpfer uns auf unseren Einsatz an der Ostfront vorbereiteten, soll der Kronprinz Gespräche mit Präsident Roosevelt geführt und Besorgnis über die russischen Pläne bezüglich Norwegens geäußert haben.
    Es wurden Fahnen geschwenkt, manche sangen und nie zuvor sind mir die alten Bäume im Schlosspark grüner vorgekommen. Doch der Kronprinz trat an diesem Tag nicht auf den Balkon hinaus. Ich muss mich also in Geduld üben.
     
    »Die haben gerade aus Wien angerufen. Die Abdrücke sind identisch.«
    Weber stand in der Wohnzimmertür.
    »Gut«, sagte Harry und nickte zerstreut, während er weiterlas. »Jemand hat in den Mülleimer gekotzt«, verkündete Weber.
    »Jemand, der sehr krank ist, das ist mehr Blut als alles

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