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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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andere.« Harry befeuchtete seinen Daumen und blätterte um. »Soso.« Pause.
    »Wenn du sonst noch Hilfe brauchst …«
    »Ich dank dir Weber, aber das war’s.«
    Weber nickte, blieb aber stehen.
    »Willst du denn keine Fahndung herausgeben?«, fragte er schließlich.
    Harry hob seinen Kopf und sah abwesend in Webers Richtung. »Warum?«
    »Tja, das weiß ich verflucht noch mal auch nicht«, sagte Weber. »Aber I-don’t-need-to-know!«
    Harry lächelte, möglicherweise über den Kommentar des älteren Polizisten. »Richtig.«
    Weber wartete auf mehr, doch es kam nichts.
    »Wie du willst, Hole. Ich hab eine Smith & Wesson mitgebracht. Sie ist geladen und hat ein zweites Magazin. Fang!«
    Harry blickte gerade noch rechtzeitig auf, um den schwarzen Gurt zu fangen, den Weber ihm zuwarf. Er öffnete den Gurt undnahm den Revolver heraus. Er war geölt und das Licht wurde von dem frisch geputzten Stahl matt reflektiert. Natürlich. Das war Webers eigene Waffe.
    »Danke für die Hilfe, Weber«, sagte Harry.
    »Mach keinen Unsinn.«
    »Ich werd’s versuchen. Dir noch einen schönen Tag.«
    Weber schnaubte angesichts dieses Wunsches. Als er aus der Wohnung stampfte, hatte sich Harry bereits wieder in seine Lektüre vertieft.
     
    Oslo, 27. August 1945
     
    104 »Verrat, Verrat, Verrat! Wie versteinert saß ich in der letzten Reihe, als meine Frau hereingeführt und auf die Anklagebank gesetzt wurde und Even Juul ein rasches, unzweideutiges Lächeln zuwarf. Dieses kleine Lächeln war genug, um mir alles zu sagen, doch ich saß wie angewurzelt da, außerstande, etwas anderes zu tun, als zu sehen und zu hören. Und zu leiden. Dieser Lügner! Even Juul weiß nur zu gut, wer Signe Ålsaker ist, ich habe ihn über sie aufgeklärt. Ihn trifft kaum eine Schuld, er glaubt ja, dass Daniel Gudeson tot ist; doch sie, sie hat ihm Treue bis in den Tod geschworen! Ja, ich sage es noch einmal: Verrat! Und der Kronprinz hat nicht ein Wort gesagt. Keiner hat etwas gesagt. Auf der Festung Akershus erschießen sie Männer, die ihr Leben für Norwegen riskiert haben. Das Echo der Schüsse hängt eine Sekunde in der Luft über der Stadt, ehe es verklingt und eine noch größere Stille als zuvor zurücklässt. Als ob nichts geschehen wäre.
    Letzte Woche erhielt ich den Bescheid, dass mein Fall zu den Akten gelegt worden ist; meine Heldentaten haben größeres Gewicht als die Verbrechen, die ich begangen habe. Beim Lesen des Briefes musste ich derart lachen, dass mir die Tränen kamen. Sie halten also die Liquidierung von vier unbewaffneten Bauern im Gudbrandsdal für eine derartige Heldentat, dass sie die verbrecherische Verteidigung meines Vaterlandes bei Leningrad aufwiegt! Ich schleuderte einen Stuhl an die Wand, und die Vermieterin kam, so dass ich mich entschuldigen musste. Es ist zum Verrücktwerden.
    Nachts träume ich von Helena. Nur von Helena. Ich muss versuchen zu vergessen. Und der Kronprinz hat nicht ein Wort gesagt. Es ist nicht zum Aushalten, ich glaube …
     
    Harry blickte wieder auf die Uhr. Er blätterte schnell durch eine ganze Reihe Zettel, ehe sein Blick auf einen bekannten Namen fiel.
     
    Schrøders Restaurant, 23. September 1948
     
    105 … Geschäftstätigkeit mit guten Zukunftsaussichten. Doch heute geschah, wovor ich mich lange gefürchtet hatte.
    Ich las Zeitung, als ich plötzlich bemerkte, dass jemand an meinem Tisch stand und mich betrachtete. Ich hob meinen Blick und das Blut gefror in meinen Adern! Er sah ein bisschen verwahrlost aus. Trug abgenutzte Kleider. Er hatte nicht mehr die gerade, aufrechte Haltung wie früher, als wäre er nicht mehr ganz er selbst. Aber ich erkannte unseren alten Lagerführer sogleich wieder, den Mann mit dem Zyklopenauge.
    »Gudbrand Johansen«, sagte Edvard Mosken. »Es heißt, du seist umgekommen. Den Gerüchten nach in Hamburg.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte. Ich wusste nur, dass mir der Mann, der sich an meinen Tisch setzte, ein Urteil als Landesverräter einbringen konnte, ja sogar, im schlimmsten Fall, als Mörder!
    Mein Mund war ganz trocken, als ich schließlich die Sprache wiederfand. Ich sagte, dass ich sehr wohl am Leben sei, und um Zeit zu gewinnen, berichtete ich ihm, dass ich mit einer Kopfverletzung und einem verwundeten Bein in Wien im Lazarett gelegen hatte. Dann fragte ich, was mit ihm geschehen war. Er erzählte mir, dass man ihn nach Hause geschickt hatte, so dass er ins Lazarett in Sinsen gekommen sei, erstaunlicherweise also der gleiche

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