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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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willst du das, dachte sie. Sie sah den alten Mann noch einmal an. Betty Andresen war keine unfreundliche Frau. Wenn es der größte Wunsch eines alten Mannes war, einmal die Aussicht vom SAS-Hotel zu genießen, würde sie ihm diesen Wunsch nicht verwehren.
    »Dann werfen wir einen Blick in die Suite«, sagte sie und setzte ihr strahlendstes Lächeln auf, das eigentlich ihren Stammgästen vorbehalten war.
    »Sind Sie zu Besuch in Oslo?«, fragte sie beiläufig, aber höflich, als sie im Aufzug standen.
    »Nein«, erwiderte der Alte. Er hatte weiße buschige Augenbrauen, was sie an ihren verstorbenen Vater erinnerte.
    Betty drückte den Knopf im Aufzug, die Türen schlossen sich und der Lift setzte sich in Bewegung. Sie würde sich nie daran gewöhnen, es war wie in den Himmel gesaugt zu werden. Dann glitten die Türen wieder auseinander, und wie immer erwartete sie fast, eine andere Welt zu betreten, doch es war immer die gleiche alte Welt. Sie gingen durch tapezierte Flure, deren Farbe zu den Fußböden und der teuren, langweiligen Kunst an den Wänden passte. Dann schob sie die Keycard ins Schloss der Suite, sagte »bitte sehr« und hielt dem Alten die Tür auf, der mit einem, wie sie meinte, erwartungsvollen Blick an ihr vorbeischlüpfte.
    »Die Palace Suite ist einhundertfünf Quadratmeter groß«, erklärte Betty. »Sie hat zwei Schlafzimmer, jedes mit Kingsize-Bett, und zwei Bäder mit Whirlpool und Telefon.«
    Sie trat in das Zimmer, in dem der Alte am Fenster stand.
    »Die Möbel sind von dem dänischen Designer Poul Henriksen entworfen worden«, fuhr sie fort und strich mit der Hand über die hauchdünne Glasplatte des Salontisches. »Möchten Sie sich die Bäder anschauen?«
    Der Alte antwortete nicht. Er trug noch immer seinen klitschnassen Hut, und in der Stille, die folgte, hörte Betty, wie ein Tropfen auf das Kirschholzparkett klatschte. Sie stellte sich neben ihn. Von hier aus sahen sie alles, was wert war, gesehen zu werden: das Rathaus, dasNationaltheater, das Schloss, den Storting und die Festung Akershus.
    Unter ihnen lag der Schlosspark, in dem sich die Bäume mit ihren schwarzen steifen Hexenfingern in einen bleigrauen Himmel reckten.
    »Sie sollten lieber an einem schönen Frühlingstag hierher kommen«, sagte Betty.
    Der Alte drehte sich um und blickte sie verständnislos an, und ihr wurde klar, was sie gerade gesagt hatte. Ebenso gut hätte sie hinzufügen können: Sie kommen ja doch nur, um die Aussicht zu genießen.
    Sie lächelte, so gut sie konnte.
    »Wenn das Gras grün ist und Blätter an den Bäumen im Schlosspark sind. Dann ist es wirklich schön.«
    Er schaute sie an, schien aber mit den Gedanken ganz woanders zu sein.
    »Da haben Sie Recht«, meinte er schließlich. »Bäume bekommen Blätter, daran habe ich nicht gedacht.«
    Er zeigte auf das Fenster.
    »Lassen die sich öffnen?«
    »Nur ein bisschen«, erwiderte Betty, erleichtert darüber, dass er das Thema gewechselt hatte. »Sie müssen den Handgriff dort umdrehen.«
    »Warum nur ein bisschen?«
    »Damit niemand auf dumme Ideen kommt.«
    »Dumme Ideen?«
    Er warf ihr einen raschen Blick zu. War der Alte etwa ein bisschen senil?
    »Aus dem Fenster springen«, sagte sie. »Selbstmord begehen. Es gibt doch viele unglückliche Menschen, die …«
    Sie machte eine Handbewegung, die zeigen sollte, was unglückliche Menschen tun könnten.
    »Und das ist dann eine dumme Idee?« Der Alte rieb sich das Kinn War da ein Lächeln hinter seinen Falten? »Auch wenn man unglücklich ist?«
    »Ja«, sagte Betty mit Nachdruck. »Auf jeden Fall in meinem Hotel. Und während meiner Schicht.«
    »In meiner Schicht«, wiederholte der Alte amüsiert. »Das war gut, Betty Andresen.«
    Sie zuckte zusammen, als sie ihren Namen hörte. Natürlich hatte er den auf ihrem Namensschild gelesen. Mit seinen Augen war also allesin Ordnung, so klein, wie die Buchstaben im Vergleich zu dem Wort EMPFANGSDAME waren. Sie tat so, als sehe sie diskret auf ihre Uhr.
    »Ja«, sagte er, »Sie haben wohl anderes zu tun, als die Aussicht zu zeigen.«
    »Ja, das stimmt«, bekräftigte sie.
    »Ich nehme es«, sagte der Alte.
    »Wie bitte?«
    »Ich nehme das Zimmer. Nicht für heute Nacht, aber …« »Sie nehmen das Zimmer?«
    »Ja, man kann es doch mieten, oder?«
    »Äh, ja, aber … es ist sehr teuer.«
    »Ich bezahle gerne im Voraus.«
    Der Alte zog eine Geldbörse aus der Innentasche seines Mantels und nahm ein Bündel Scheine heraus.
    »Nein, nein, so habe ich das nicht

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