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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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dessen Fassade in den letzten Jahren nicht restauriert worden war: Nummer 8. Harrys. Das war Harry vollkommen gleichgültig.
    Er öffnete die Tür und schloss den Briefkasten am Fuß der Treppe auf. Ein Sonderangebot für Pizza und ein Briefumschlag vom Stadtkämmerer in Oslo, den er sogleich als die Mahnung für sein Parkknöllchen vom letzten Monat identifizierte. Er fluchte, während er die Treppe hinaufstieg. Für einen Spottpreis hatte er von einem Onkel, den er eigentlich gar nicht kannte, einen fünfzehn Jahre alten Ford Escort gekauft. Ein wenig rostig, und auch die Kupplung war nicht mehr neu, aber dafür hatte er ein schnittiges Sonnendach. Bis jetzt hatte er aber öfter Knöllchen und Werkstattrechnungen als Wind in den Haaren gehabt. Außerdem sprang das Ding oft nicht an, so dass er immer, die Kühlerhaube nach vorn, am Hang parken musste, um es in Schwung zu bringen.
    Er öffnete seine Wohnungstür und ging hinein. Es war eine spartanisch eingerichtete Zweizimmerwohnung. Ordentlich, sauber und ohne Teppiche auf den blank gescheuerten Holzdielen. Der einzige Wandschmuck waren ein Bild von seiner Mutter und Søs und ein altes Kinoplakat, das er mit sechzehn Jahren am Symra-Kino geklaut hatte. Es gab keine Pflanzen, Kerzen oder kitschige Nippesfiguren. Er hatte einmal eine Pinnwand montiert, an die er Postkarten, Bilder und irgendwelche schlauen Sprüche hängen wollte, wenn er auf etwas stieß. So etwas hatte er bei anderen zu Hause gesehen. Doch als er bemerkte, dass er niemals Postkarten bekam und eigentlich auch keine Fotos machte, hatte er ein Bjørneboe-Zitat ausgeschnitten:
     
    Und diese immer schnellere Produktion von Pferdestärken ist wiederum Ausdruck für unser immer besseres Verständnis der Naturgesetze: dieses Verständnis = Angst.
     
    Harry erkannte mit einem Blick, dass er keine Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hatte (noch so eine unnütze Investition), knöpfte sein Hemd auf, legte es in den Wäschekorb und nahm ein neues von dem ordentlichen Stapel im Schrank.
    Harry ließ den Anrufbeantworter an (vielleicht rief ja jemand von der Meinungsumfrage an) und verließ seine Wohnung wieder.
    Ohne Sentimentalität kaufte er bei Ali die letzten Zeitungen dieses Jahrtausends und überquerte dann die Dovregate. In der Waldemar Thranes Gate hasteten die Menschen mit ihren letzten Einkäufen nach Hause zum großen Millenniumsabend. Harry fror in seinem Mantel, bis er über die Türschwelle von Schrøders Restaurant trat und ihm die feuchte Wärme der Menschen entgegenschlug. Es war reichlich voll – dann bemerkte er, dass sein Lieblingstisch gerade frei wurde, und lief schnell darauf zu. Der alte Mann, der von dem Tisch aufgestanden war, setzte seinen Hut auf, sah Harry unter weißen buschigen Augenbrauen kurz an und nickte ihm stumm zu, ehe er ging. Der Tisch stand am Fenster und war tagsüber einer der wenigen Plätze, an denen es in dem schwach beleuchteten Lokal hell genug war, um Zeitung zu lesen. Er hatte sich kaum hingesetzt, als Maja auch schon zur Stelle war.
    »Hei, Harry.« Sie wischte mit einem grauen Lappen über die Tischdecke. »Das Tagesgericht?«
    »Wenn der Koch heute nüchtern ist.«
    »Ist er. Was zu trinken?«
    »Dann ja.« Er sah auf. »Was kannst du heute empfehlen?«
    »Also.« Sie stemmte die Hände in die Hüften und proklamierte laut und deutlich: »Was auch immer die Menschen glauben mögen, diese Stadt hat tatsächlich das sauberste Trinkwasser des ganzen Landes. Und die besten Wasserleitungen finden sich in Gebäuden, die um die Jahrhundertwende herum gebaut worden sind, wie dieses hier.«
    »Wer hat dir das erzählt, Maja?«
    »Na, du doch, Harry.« Ihr Lachen war heiser und herzlich. »Das Wasser scheint dir übrigens gut zu bekommen, Harry.« Das sagte sie leise, ehe sie die Bestellung notierte und verschwand.
    Die meisten Presseorgane waren voller Millenniumsstoff und so begann Harry, in der größten Tageszeitung zu blättern. Auf Seite sechs fiel sein Blick auf die große Abbildung eines einsamen Wegweisers mit einem aufgemalten Sonnenkreuz. Oslo 2 611 km, stand auf dem einen Pfeil, Leningrad 5 km auf dem anderen.
    Der Artikel stammte von Even Juul, einem Geschichtsprofessor. Die Schlagzeile war kurz: Die Voraussetzungen für den Faschismus angesichts der wachsenden Arbeitslosigkeit in Westeuropa.
    Harry hatte Juuls Namen früher schon in der Zeitung gelesen. Er war eine Kapazität, was die norwegische Okkupation und die Nationale Sammlung anging. Harry

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